Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. ner spröden Schönen verwandeln? Soll die frommeunschuldige Erzählung Homers ein sinnreiches: ich sage wohl nichts; aber ich will es sagen: ich merke! werden? Der ganze Zweck Homers, Paris und Helena uns im fortgehenden Strome seiner Epopee zu schildern, ist weg: nun ists ein artiges kakophaton geworden. Bei Homer aber in einer Zeit, wo es kein kakophaton war, die Sache selbst anständig zu nennen, bedorfte man kein kakophaton, etwas anders dagegen zu nennen, und doch das Un- ehrbare zu verstehen: kurz! der ungalante Paris hat wenigstens keine züchtige Zweideutigkeiten nö- thig. Jch sage, statt eines anständigen non probo! ein wahrhaftig ehrbares: haud equidem miror, invideo magis! Lasset sich aber die Zeiten ändern: es fange nennen
Kritiſche Waͤlder. ner ſproͤden Schoͤnen verwandeln? Soll die frommeunſchuldige Erzaͤhlung Homers ein ſinnreiches: ich ſage wohl nichts; aber ich will es ſagen: ich merke! werden? Der ganze Zweck Homers, Paris und Helena uns im fortgehenden Strome ſeiner Epopee zu ſchildern, iſt weg: nun iſts ein artiges κακοφατον geworden. Bei Homer aber in einer Zeit, wo es kein κακοφατον war, die Sache ſelbſt anſtaͤndig zu nennen, bedorfte man kein κακοφατον, etwas anders dagegen zu nennen, und doch das Un- ehrbare zu verſtehen: kurz! der ungalante Paris hat wenigſtens keine zuͤchtige Zweideutigkeiten noͤ- thig. Jch ſage, ſtatt eines anſtaͤndigen non probo! ein wahrhaftig ehrbares: haud equidem miror, invideo magis! Laſſet ſich aber die Zeiten aͤndern: es fange nennen
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Kritiſche Waͤlder.
ner ſproͤden Schoͤnen verwandeln? Soll die fromme
unſchuldige Erzaͤhlung Homers ein ſinnreiches:
ich ſage wohl nichts; aber ich will es ſagen: ich
merke! werden? Der ganze Zweck Homers, Paris
und Helena uns im fortgehenden Strome ſeiner
Epopee zu ſchildern, iſt weg: nun iſts ein artiges
κακοφατον geworden. Bei Homer aber in einer
Zeit, wo es kein κακοφατον war, die Sache ſelbſt
anſtaͤndig zu nennen, bedorfte man kein κακοφατον,
etwas anders dagegen zu nennen, und doch das Un-
ehrbare zu verſtehen: kurz! der ungalante Paris
hat wenigſtens keine zuͤchtige Zweideutigkeiten noͤ-
thig. Jch ſage, ſtatt eines anſtaͤndigen non probo!
ein wahrhaftig ehrbares: haud equidem miror,
invideo magis!
Laſſet ſich aber die Zeiten aͤndern: es fange
das ganz andre Ding zu wirken an, was wir Ehr-
barkeit, Anſtand nennen, ohne doch eben Tugend
darunter zu verſtehen: Dinge, die man auch ohne
Neckerei und Zoten ſagen wollte, wird man oft nicht
nennen wollen, nicht nennen doͤrfen, und endlich
nicht zu nennen wiſſen. Durch einen allgemeinen
Reichsſchluß auf dem Reichstage der Ehrbarkeit
wurden ſolche Benennungen fuͤr unzuͤchtig erklaͤrt,
aus der Sprache geworfen; nicht aber darum auch
die Sachen ſelbſt fuͤr unzuͤchtig erklaͤrt, nicht dar-
um die Begierde weggeſchaffet, ſolche namenloſe
Sachen um ſo lieber nennen, und da man ſie nicht
nennen
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