Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. 3. Von Worten fange ich die Ehrbarkeit nicht an; Zuerst: womit ist die Schamhaftigkeit natür- selbst K 2
Zweites Waͤldchen. 3. Von Worten fange ich die Ehrbarkeit nicht an; Zuerſt: womit iſt die Schamhaftigkeit natuͤr- ſelbſt K 2
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Zweites Waͤldchen.
3.
Von Worten fange ich die Ehrbarkeit nicht an;
ſondern von Gedanken; und von welchen? Jch
ſehe, daß Hr. Kl. mich in zu tiefe Gelehrſamkeit,
in zu bunte Philoſophie fuͤhre; ich will lieber auf
dem ebnen Stege der Natur bleiben. Nur gebe
die Goͤttinn, deren Weſen ich unterſuche, daß in-
dem ichs unterſuche, ich nicht ſelbſt ihren Altar
entweihe!
Zuerſt: womit iſt die Schamhaftigkeit natuͤr-
licher geſellet, als mit den Neigungen der Liebe?
Der Liebe ward ſie von der Natur, als Schweſter,
als Geſellinn, als Aufſeherinn, mitgegeben, an de-
ren Hand ſie auch die Wirkungen, die Macht, die
Reize derſelben ſo ſehr befoͤrdert. Nichts ziert die
Liebesgoͤttinn ſo ſehr, als die Farbe der Unſchuld,
ſanfte Schamroͤthe, die in ſich geſchmiegete Mine
der beſcheidenen Einfalt. Wenn alſo unter allen
Tugenden Eine das Anrecht haͤtte, in der Allegorie
als ein Frauenzimmer vorgeſtellt zu werden: ſo iſt
die Schamhaftigkeit dazu die Erſte. Sie iſt
der Reiz der Liebe, und die Tugend des Ge-
ſchlechts, das die Natur zum liebenswuͤrdigen Thei-
le der Menſchheit beſtimmte: ſie alſo eine weibliche
Tugend. Ein Weib ohne Zucht, ſagt das arabi-
ſche Sprichwort, iſt eine Speiſe ohne Salz: und
noch fuͤglicher koͤnnte dies Sprichwort von der Liebe
ſelbſt
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