Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. selbst gelten. Eine Liebe ohne Schaam ist nicht Lie-be mehr: sie ist Ekel. Nichts ekelhafters in der Welt, als eine förmliche Exposition der Liebe. Wenn dies in der Natur, bei einer so noth- Zu- a) Iliad. Ks' v. 346.
Kritiſche Waͤlder. ſelbſt gelten. Eine Liebe ohne Schaam iſt nicht Lie-be mehr: ſie iſt Ekel. Nichts ekelhafters in der Welt, als eine foͤrmliche Expoſition der Liebe. Wenn dies in der Natur, bei einer ſo noth- Zu- a) Iliad. Ξ’ v. 346.
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Kritiſche Waͤlder.
ſelbſt gelten. Eine Liebe ohne Schaam iſt nicht Lie-
be mehr: ſie iſt Ekel. Nichts ekelhafters in der
Welt, als eine foͤrmliche Expoſition der Liebe.
Wenn dies in der Natur, bei einer ſo noth-
wendigen, und fuͤr das menſchliche Geſchlecht un-
entbehrlichen Neigung, Statt findet: wie weit mehr
in Worten! in Worten an die Welt und Nach-
welt! in Worten, zum Vergnuͤgen! Alle Empfin-
dungen des Vergnuͤgens zerfließen bei einem ſcham-
loſen Bilde; ſie verwandeln ſich in Ekel! Homer,
in ſeiner Beſchreibuug der zweiten Brautnacht a)
zwiſchen Jupiter und Juno, mag alle Annehmlich-
keiten, die ſich vor Augen legen laſſen, zeigen: die
hohe Geſtalt, den Schmuck, die Pracht der Koͤ-
niginn des Himmels: alle Gratien und Reize im
Guͤrtel der Venus: alle Empfindungen der Liebe,
und des Verlangens im Herzen Jupiters — aber
nun? decke ſie die himmliſche Wolke! Da liegt ſie
in den Armen des hoͤchſten Gottes, und unter ihnen
bluͤhen Kraͤuter und Blumen aus dem Schooße der
Erde hervor; das himmliſche Paar ſelbſt aber um-
ſchattete die goldne Wolke, daß ſelbſt die allſehende
Sonne ſie nicht erblicke! — So dichtet Homer;
und ich ſehe keinen Weg, weiter zu dichten, als die
artigen Zweideutigkeiten, von denen er nichts
weiß — —
Zu-
a) Iliad. Ξ’ v. 346.
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