Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. Zunächst äußert sich die Naturempfindung, Noch offenbarer sind andre Verabredungen, gen K 3
Zweites Waͤldchen. Zunaͤchſt aͤußert ſich die Naturempfindung, Noch offenbarer ſind andre Verabredungen, gen K 3
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Zweites Waͤldchen.
Zunaͤchſt aͤußert ſich die Naturempfindung,
von der ich rede, in Nennung der verborgenen Thei-
le unſres Koͤrpers, die unſre Sprache, zum Theile,
ſchon mit dem Namen der Tugend ſelbſt bezeichnet.
Jch ſage: zunaͤchſt; aber abſteigend zunaͤchſt;
denn es iſt unſtreitig, daß dieſe Gattung von
Schamhaftigkeit nicht ſchon allein von der Natur,
ſondern auch von der Politeſſe, Geſetze erhaͤlt. Jn
einem Woͤrterbuche, in einer Naturlehre mag dieſes
und jenes Wort recht gelegentlich und ſchamlos
ſtehen; nur aber nicht ſo gelegentlich in offenbarer
Rede, in Schriften, wo es nicht hin gehoͤren muß,
in Werken des Vergnuͤgens, und der Geſellſchaft.
Seit dem Kleider die Huͤllen der Schoͤnheit und
Haͤßlichkeit geworden: ſeit dem haben auch einige
Namen, gleichſam verdeckt, ſelten werden muͤſſen;
und, mit der Zeit, ſind ſie gar unſichtbar geworden.
Mit dem Unterſchiede, daß, wo ſie unſichtbar ſeyn
konnten, weil ſie nicht genannt werden dorften: da
war ihr Verſchwinden eine Folge einer Naturempfin-
dung; wo ſie aber genannt werden muͤſſen, und
doch nicht genannt werden dorften; da war ihre
Unehrbarkeit eine geſellſchaftliche Verabredung; ein
Vertrag der hoͤchſten Politeſſe.
Noch offenbarer ſind andre Verabredungen,
die immer heißen koͤnnten, wie ſie wollten; nur Na-
turempfindungen der Schamhaftigkeit ſollten ſie
eigentlich nicht heißen. Dies ſind alle Beleidigun-
gen
K 3
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