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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Zweites Wäldchen.
bösartigen Allegorie, und nicht anders, hätte be-
kannt seyn müssen? Wer den witzigen menschen-
freundlichen Martial kennet, wird in solchem Falle
solch Betragen sehr epigrammatisch, sehr martiali-
stisch finden. Da er gegentheils nichts darüber äußert,
an mehr als einem Orte nichts äußert: so ist Martial
nicht blos kein Zeuge gegen Virgil, sondern durch sein
Stillschweigen fast auch ein Zeuge für ihn. Ein böser
Witzling, wie er, hätte Virgilen gewiß nicht so höflich
durchwischen lassen, wenn er Schamlosigkeit als Vir-
gils Hauptvergnügen gekannt hätte. Wie? er hät-
te Virgils Glück und Vergnügen beschreien wollen,
und so etwas sich können entwischen lassen?

"Schon aber Apulejus a) deutet ja die berüch-
"tigte Ekloge auf seine Liebeshändel mit dem Ale-
"xis." Gut! ich nehme sein Wort für Etwas mehr,
als Deutung, für Zeugniß an; und wofür mehr
kann ichs nehmen? Virgil also habe sein Schäfer-
gedicht auf den Knaben seines Freundes gemacht;
er seys, der unter dem Namen Coridons spreche,
und fühle, und seufze, weil es Apulejus sagt --
wozu aber sagt es Apulejus? Etwa um Virgils
Unmäßigkeit zu tadeln, und seine bösen Sitten zu
schelten? Umgekehrt! mitten unter Apologien für
die Liebhaber der Schönheit führt er ihn noch mit
einem Lobe der Bescheidenheit an, daß er der Na-
men seiner Günstlinge im Gedichte geschonet.

Schlech-
a) Apul. Apolog.

Zweites Waͤldchen.
boͤsartigen Allegorie, und nicht anders, haͤtte be-
kannt ſeyn muͤſſen? Wer den witzigen menſchen-
freundlichen Martial kennet, wird in ſolchem Falle
ſolch Betragen ſehr epigrammatiſch, ſehr martiali-
ſtiſch finden. Da er gegentheils nichts daruͤber aͤußert,
an mehr als einem Orte nichts aͤußert: ſo iſt Martial
nicht blos kein Zeuge gegen Virgil, ſondern durch ſein
Stillſchweigen faſt auch ein Zeuge fuͤr ihn. Ein boͤſer
Witzling, wie er, haͤtte Virgilen gewiß nicht ſo hoͤflich
durchwiſchen laſſen, wenn er Schamloſigkeit als Vir-
gils Hauptvergnuͤgen gekannt haͤtte. Wie? er haͤt-
te Virgils Gluͤck und Vergnuͤgen beſchreien wollen,
und ſo etwas ſich koͤnnen entwiſchen laſſen?

„Schon aber Apulejus a) deutet ja die beruͤch-
„tigte Ekloge auf ſeine Liebeshaͤndel mit dem Ale-
„xis.„ Gut! ich nehme ſein Wort fuͤr Etwas mehr,
als Deutung, fuͤr Zeugniß an; und wofuͤr mehr
kann ichs nehmen? Virgil alſo habe ſein Schaͤfer-
gedicht auf den Knaben ſeines Freundes gemacht;
er ſeys, der unter dem Namen Coridons ſpreche,
und fuͤhle, und ſeufze, weil es Apulejus ſagt —
wozu aber ſagt es Apulejus? Etwa um Virgils
Unmaͤßigkeit zu tadeln, und ſeine boͤſen Sitten zu
ſchelten? Umgekehrt! mitten unter Apologien fuͤr
die Liebhaber der Schoͤnheit fuͤhrt er ihn noch mit
einem Lobe der Beſcheidenheit an, daß er der Na-
men ſeiner Guͤnſtlinge im Gedichte geſchonet.

Schlech-
a) Apul. Apolog.
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[189/0195] Zweites Waͤldchen. boͤsartigen Allegorie, und nicht anders, haͤtte be- kannt ſeyn muͤſſen? Wer den witzigen menſchen- freundlichen Martial kennet, wird in ſolchem Falle ſolch Betragen ſehr epigrammatiſch, ſehr martiali- ſtiſch finden. Da er gegentheils nichts daruͤber aͤußert, an mehr als einem Orte nichts aͤußert: ſo iſt Martial nicht blos kein Zeuge gegen Virgil, ſondern durch ſein Stillſchweigen faſt auch ein Zeuge fuͤr ihn. Ein boͤſer Witzling, wie er, haͤtte Virgilen gewiß nicht ſo hoͤflich durchwiſchen laſſen, wenn er Schamloſigkeit als Vir- gils Hauptvergnuͤgen gekannt haͤtte. Wie? er haͤt- te Virgils Gluͤck und Vergnuͤgen beſchreien wollen, und ſo etwas ſich koͤnnen entwiſchen laſſen? „Schon aber Apulejus a) deutet ja die beruͤch- „tigte Ekloge auf ſeine Liebeshaͤndel mit dem Ale- „xis.„ Gut! ich nehme ſein Wort fuͤr Etwas mehr, als Deutung, fuͤr Zeugniß an; und wofuͤr mehr kann ichs nehmen? Virgil alſo habe ſein Schaͤfer- gedicht auf den Knaben ſeines Freundes gemacht; er ſeys, der unter dem Namen Coridons ſpreche, und fuͤhle, und ſeufze, weil es Apulejus ſagt — wozu aber ſagt es Apulejus? Etwa um Virgils Unmaͤßigkeit zu tadeln, und ſeine boͤſen Sitten zu ſchelten? Umgekehrt! mitten unter Apologien fuͤr die Liebhaber der Schoͤnheit fuͤhrt er ihn noch mit einem Lobe der Beſcheidenheit an, daß er der Na- men ſeiner Guͤnſtlinge im Gedichte geſchonet. Schlech- a) Apul. Apolog.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/195>, abgerufen am 21.11.2024.