Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. selben noch mehr Gewißheit, um seinem Texte mehrAnschaulichkeit zu geben, noch gar das fama est, vulgatum est, weg: denn wer will hier Geschichte? das Märchen erläutert ja so schön! -- armer Vir- gil! der Stab ist über dich gebrochen! deine schamlose Ekloge liegt ja der Welt vor Augen! Da ist dein Servius! Nun sage mir ein poetischer Leser, wie, wenn "Ja
Kritiſche Waͤlder. ſelben noch mehr Gewißheit, um ſeinem Texte mehrAnſchaulichkeit zu geben, noch gar das fama eſt, vulgatum eſt, weg: denn wer will hier Geſchichte? das Maͤrchen erlaͤutert ja ſo ſchoͤn! — armer Vir- gil! der Stab iſt uͤber dich gebrochen! deine ſchamloſe Ekloge liegt ja der Welt vor Augen! Da iſt dein Servius! Nun ſage mir ein poetiſcher Leſer, wie, wenn „Ja
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Kritiſche Waͤlder.
ſelben noch mehr Gewißheit, um ſeinem Texte mehr
Anſchaulichkeit zu geben, noch gar das fama eſt,
vulgatum eſt, weg: denn wer will hier Geſchichte?
das Maͤrchen erlaͤutert ja ſo ſchoͤn! — armer Vir-
gil! der Stab iſt uͤber dich gebrochen! deine
ſchamloſe Ekloge liegt ja der Welt vor Augen! Da
iſt dein Servius!
Nun ſage mir ein poetiſcher Leſer, wie, wenn
die Ekloge eine hiſtoriſchwahre Liebesflamme ſeyn
ſoll, die beſten Stellen erklaͤrt werden ſollen. Wo
waren denn die dunkeln Waͤlder, die Corydon mit
ſeinen Klagen erfuͤllte? Wo iſt die Wahrheit des
Schaͤferreichthums, den er preiſet? Wo ſind ſeine
Heerden in Sicilien, ſeine Amaryllis, Theſtilis,
Menalkas? Wo der Bach, in dem er neulich zu-
erſt ſich geſehen? Wo ſeine ganze Schaͤferwelt, in
der die Ekloge lebet? Jſt ſie poetiſch, iſt ſie dich-
teriſch — wie? und der Jnhalt ſoll nicht dichteriſch
ſeyn? Jhr wollet, was ihr nicht deuten koͤnnet,
der Muſe, und was ihr nicht deuten ſollet, dem
Virgil, als Menſchen aufbuͤrden? Jhr wollet das
Gedicht zu einem Ungeheuer von hiſtoriſcher Ekloge,
von allegoriſcher Geſchichte verdammen? Wie?
wenn ich jedem Dichter das auf ſeine bona fama
anrechnen wollte, was ſeine Muſe ſingt — Tyran-
niſche Verſtuͤmmelung! wer wollte noch Dichter
ſeyn?
„Ja
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