Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. daß bei ihm diese mythologischen Vorstellungsartennicht wesentlich zum Baue seines Gedichts, sondern nur zur Auszierung desselben gehören. Er bringt sie nicht (wenigstens nie offenbar!) in die Zeit, aus welcher, sondern in die Zeit, für welche er singet[:] und so werden sie Gleichnisse, Schmuck, Verzie- rung seiner Gegenstände; nicht eigentlich Gegen- stände selbst. Er singt für seine Zeit; dieser schwe- ben unter andern auch aus heidnischen Schriftstel- lern Vorstellungen im Gedächtnisse, die seine heilige Vorstellung zehnfach verstärken, und einprägen -- einprägen, daß es kaum in seiner heiligen Geschichte solche starke und Nachdrucksvolle Hülfvorstellungen gäbe -- warum also sollte er jene wartende Jdeen in der Seele seiner Leser nicht wecken? warum sie nicht aufruffen, um seinen heiligen Gedanken desto tiefer in die Seele zu prägen? Und das thut Milton! Er thuts an weit mehr Stellen, als mein la- nischen a) Parad. lost B. IV.
Kritiſche Waͤlder. daß bei ihm dieſe mythologiſchen Vorſtellungsartennicht weſentlich zum Baue ſeines Gedichts, ſondern nur zur Auszierung deſſelben gehoͤren. Er bringt ſie nicht (wenigſtens nie offenbar!) in die Zeit, aus welcher, ſondern in die Zeit, fuͤr welche er ſinget[:] und ſo werden ſie Gleichniſſe, Schmuck, Verzie- rung ſeiner Gegenſtaͤnde; nicht eigentlich Gegen- ſtaͤnde ſelbſt. Er ſingt fuͤr ſeine Zeit; dieſer ſchwe- ben unter andern auch aus heidniſchen Schriftſtel- lern Vorſtellungen im Gedaͤchtniſſe, die ſeine heilige Vorſtellung zehnfach verſtaͤrken, und einpraͤgen — einpraͤgen, daß es kaum in ſeiner heiligen Geſchichte ſolche ſtarke und Nachdrucksvolle Huͤlfvorſtellungen gaͤbe — warum alſo ſollte er jene wartende Jdeen in der Seele ſeiner Leſer nicht wecken? warum ſie nicht aufruffen, um ſeinen heiligen Gedanken deſto tiefer in die Seele zu praͤgen? Und das thut Milton! Er thuts an weit mehr Stellen, als mein la- niſchen a) Parad. loſt B. IV.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> daß bei ihm dieſe mythologiſchen Vorſtellungsarten<lb/> nicht weſentlich zum Baue ſeines Gedichts, ſondern<lb/> nur zur Auszierung deſſelben gehoͤren. Er bringt<lb/> ſie nicht (wenigſtens nie offenbar!) in die Zeit, <hi rendition="#fr">aus<lb/> welcher,</hi> ſondern <hi rendition="#fr">in die Zeit, fuͤr welche</hi> er ſinget<supplied>:</supplied><lb/> und ſo werden ſie <hi rendition="#fr">Gleichniſſe, Schmuck, Verzie-<lb/> rung</hi> ſeiner Gegenſtaͤnde; nicht eigentlich Gegen-<lb/> ſtaͤnde ſelbſt. Er ſingt fuͤr ſeine Zeit; dieſer ſchwe-<lb/> ben unter andern auch aus heidniſchen Schriftſtel-<lb/> lern Vorſtellungen im Gedaͤchtniſſe, die ſeine heilige<lb/> Vorſtellung zehnfach verſtaͤrken, und einpraͤgen —<lb/> einpraͤgen, daß es kaum in ſeiner heiligen Geſchichte<lb/> ſolche ſtarke und Nachdrucksvolle Huͤlfvorſtellungen<lb/> gaͤbe — warum alſo ſollte er jene wartende Jdeen<lb/> in der Seele ſeiner Leſer nicht wecken? warum ſie<lb/> nicht aufruffen, um ſeinen heiligen Gedanken deſto<lb/> tiefer in die Seele zu praͤgen? Und das thut<lb/> Milton!</p><lb/> <p>Er thuts an weit mehr Stellen, als mein la-<lb/> teiniſcher Autor anfuͤhret; doppelt aber aͤrgerts mich,<lb/> daß er eben die ſuͤßeſten im ganzen Milton tadelt,<lb/> aus einem Buche <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">Parad. loſt B. IV.</hi></note> das die groͤßeſten Gegner deſ-<lb/> ſelben mit Lobſpruͤchen haben uͤberhaͤufen muͤſſen;<lb/> naͤmlich „die ſelige Liebe der Stammvaͤter des Men-<lb/> „ſchengeſchlechts in Eden.„ Auch Winkelmann,<lb/> der in griechiſche Schoͤnheiten entzuͤckt, die Milto-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">niſchen</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0072]
Kritiſche Waͤlder.
daß bei ihm dieſe mythologiſchen Vorſtellungsarten
nicht weſentlich zum Baue ſeines Gedichts, ſondern
nur zur Auszierung deſſelben gehoͤren. Er bringt
ſie nicht (wenigſtens nie offenbar!) in die Zeit, aus
welcher, ſondern in die Zeit, fuͤr welche er ſinget:
und ſo werden ſie Gleichniſſe, Schmuck, Verzie-
rung ſeiner Gegenſtaͤnde; nicht eigentlich Gegen-
ſtaͤnde ſelbſt. Er ſingt fuͤr ſeine Zeit; dieſer ſchwe-
ben unter andern auch aus heidniſchen Schriftſtel-
lern Vorſtellungen im Gedaͤchtniſſe, die ſeine heilige
Vorſtellung zehnfach verſtaͤrken, und einpraͤgen —
einpraͤgen, daß es kaum in ſeiner heiligen Geſchichte
ſolche ſtarke und Nachdrucksvolle Huͤlfvorſtellungen
gaͤbe — warum alſo ſollte er jene wartende Jdeen
in der Seele ſeiner Leſer nicht wecken? warum ſie
nicht aufruffen, um ſeinen heiligen Gedanken deſto
tiefer in die Seele zu praͤgen? Und das thut
Milton!
Er thuts an weit mehr Stellen, als mein la-
teiniſcher Autor anfuͤhret; doppelt aber aͤrgerts mich,
daß er eben die ſuͤßeſten im ganzen Milton tadelt,
aus einem Buche a) das die groͤßeſten Gegner deſ-
ſelben mit Lobſpruͤchen haben uͤberhaͤufen muͤſſen;
naͤmlich „die ſelige Liebe der Stammvaͤter des Men-
„ſchengeſchlechts in Eden.„ Auch Winkelmann,
der in griechiſche Schoͤnheiten entzuͤckt, die Milto-
niſchen
a) Parad. loſt B. IV.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |