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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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Stellet euch zwei Geister vor, die sich ein-
ander ihre Gedanken, und blos Gedanken un-
mittelbar mittheilen; so wird die Ordnung,
in der das eine Wesen sie denket, auch zugleich
die seyn, in der sie das andere erblicket. So
wie die Jdeen bei dem einen sich entweder
aus seinem innern Grunde hervorwickeln,
oder so wie es sie aus den Dingen außer sich
schöpfet: so theilet es dieselben auch mit.
Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedan-
ken einer andern Vernunft saget: gehet also
den gewöhnlichen Pfad der Zusammensezzung
der Begriffe; sie zeiget den Gegenstand zuerst
und ihr Urtheil darüber an. Hier ist also
der Bau eines Perioden so regelmäßig be-
stimmt, daß, nach der Arabischen Prosodie zu
reden, jedes Wort einen Pfosten und Säule
ausmacht, der eben hier an seinem Orte stehet.

Betrachtet eine Philosophische Sprache;
wäre sie von einem Philosophen erdacht: so
hübe sie alle Jnversionen auf: käme eine
allgemeine Sprache zu Stande: so wäre bei
ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede
Ordnung so bestimmt, als in unsrer Deka-
dik. So lange wir aber noch keine durch-

aus

Stellet euch zwei Geiſter vor, die ſich ein-
ander ihre Gedanken, und blos Gedanken un-
mittelbar mittheilen; ſo wird die Ordnung,
in der das eine Weſen ſie denket, auch zugleich
die ſeyn, in der ſie das andere erblicket. So
wie die Jdeen bei dem einen ſich entweder
aus ſeinem innern Grunde hervorwickeln,
oder ſo wie es ſie aus den Dingen außer ſich
ſchoͤpfet: ſo theilet es dieſelben auch mit.
Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedan-
ken einer andern Vernunft ſaget: gehet alſo
den gewoͤhnlichen Pfad der Zuſammenſezzung
der Begriffe; ſie zeiget den Gegenſtand zuerſt
und ihr Urtheil daruͤber an. Hier iſt alſo
der Bau eines Perioden ſo regelmaͤßig be-
ſtimmt, daß, nach der Arabiſchen Proſodie zu
reden, jedes Wort einen Pfoſten und Saͤule
ausmacht, der eben hier an ſeinem Orte ſtehet.

Betrachtet eine Philoſophiſche Sprache;
waͤre ſie von einem Philoſophen erdacht: ſo
huͤbe ſie alle Jnverſionen auf: kaͤme eine
allgemeine Sprache zu Stande: ſo waͤre bei
ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede
Ordnung ſo beſtimmt, als in unſrer Deka-
dik. So lange wir aber noch keine durch-

aus
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[96/0100] Stellet euch zwei Geiſter vor, die ſich ein- ander ihre Gedanken, und blos Gedanken un- mittelbar mittheilen; ſo wird die Ordnung, in der das eine Weſen ſie denket, auch zugleich die ſeyn, in der ſie das andere erblicket. So wie die Jdeen bei dem einen ſich entweder aus ſeinem innern Grunde hervorwickeln, oder ſo wie es ſie aus den Dingen außer ſich ſchoͤpfet: ſo theilet es dieſelben auch mit. Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedan- ken einer andern Vernunft ſaget: gehet alſo den gewoͤhnlichen Pfad der Zuſammenſezzung der Begriffe; ſie zeiget den Gegenſtand zuerſt und ihr Urtheil daruͤber an. Hier iſt alſo der Bau eines Perioden ſo regelmaͤßig be- ſtimmt, daß, nach der Arabiſchen Proſodie zu reden, jedes Wort einen Pfoſten und Saͤule ausmacht, der eben hier an ſeinem Orte ſtehet. Betrachtet eine Philoſophiſche Sprache; waͤre ſie von einem Philoſophen erdacht: ſo huͤbe ſie alle Jnverſionen auf: kaͤme eine allgemeine Sprache zu Stande: ſo waͤre bei ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede Ordnung ſo beſtimmt, als in unſrer Deka- dik. So lange wir aber noch keine durch- aus

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/100>, abgerufen am 23.11.2024.