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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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Aber so ist doch ihre Sprache eine Spra-
che der Vernunft, weil ihre Ordnung der
Metaphysischen Reihe getreuer bleibt? Es
sey so! getreuer! aber getreu bleibt sie ihr
nie, und keine menschliche Sprache sinnlicher
Geschöpfe kann ihr treu bleiben; denn die
Französische Sprache hat so gut, wie jede an-
dere, unphilosophischen Eigensinn -- und nun
schliesse ich mit einemmal! ihre Ordnung ist
schlechter, als die unsere, weil die unsrige räu-
miger aufgeschürzt ist, um ihre Ordnung nach
jedem Zwecke lenken zu können. Vollkom-
menheit
kann keine Sprache erreichen; die
größte Poetische Schönheit auch nicht: sie
bleibt also in der Mitte, und sucht: Behag-
lichkeit,
* -- und zu der gehören auch Jn-
versionen.

Die Sprache hat den Punkt der Behag-
lichkeit
getroffen, die Poeten, Prosaisten,
und Philosophen ein leichtes Werkzeug ist; die
beiden ersten nutzen von den Jnversionen:
wenn nun ihr Nutzen dem dritten nicht

nach-
* Man erlaube mir dies Wort, das ein Claßischer
Schriftsteller unter uns, wenn ich nicht irre,
gerechtfertiget hat: der Verf. der Phil. Schr.
G 4

Aber ſo iſt doch ihre Sprache eine Spra-
che der Vernunft, weil ihre Ordnung der
Metaphyſiſchen Reihe getreuer bleibt? Es
ſey ſo! getreuer! aber getreu bleibt ſie ihr
nie, und keine menſchliche Sprache ſinnlicher
Geſchoͤpfe kann ihr treu bleiben; denn die
Franzoͤſiſche Sprache hat ſo gut, wie jede an-
dere, unphiloſophiſchen Eigenſinn — und nun
ſchlieſſe ich mit einemmal! ihre Ordnung iſt
ſchlechter, als die unſere, weil die unſrige raͤu-
miger aufgeſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach
jedem Zwecke lenken zu koͤnnen. Vollkom-
menheit
kann keine Sprache erreichen; die
groͤßte Poetiſche Schoͤnheit auch nicht: ſie
bleibt alſo in der Mitte, und ſucht: Behag-
lichkeit,
* — und zu der gehoͤren auch Jn-
verſionen.

Die Sprache hat den Punkt der Behag-
lichkeit
getroffen, die Poeten, Proſaiſten,
und Philoſophen ein leichtes Werkzeug iſt; die
beiden erſten nutzen von den Jnverſionen:
wenn nun ihr Nutzen dem dritten nicht

nach-
* Man erlaube mir dies Wort, das ein Claßiſcher
Schriftſteller unter uns, wenn ich nicht irre,
gerechtfertiget hat: der Verf. der Phil. Schr.
G 4
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[103/0107] Aber ſo iſt doch ihre Sprache eine Spra- che der Vernunft, weil ihre Ordnung der Metaphyſiſchen Reihe getreuer bleibt? Es ſey ſo! getreuer! aber getreu bleibt ſie ihr nie, und keine menſchliche Sprache ſinnlicher Geſchoͤpfe kann ihr treu bleiben; denn die Franzoͤſiſche Sprache hat ſo gut, wie jede an- dere, unphiloſophiſchen Eigenſinn — und nun ſchlieſſe ich mit einemmal! ihre Ordnung iſt ſchlechter, als die unſere, weil die unſrige raͤu- miger aufgeſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach jedem Zwecke lenken zu koͤnnen. Vollkom- menheit kann keine Sprache erreichen; die groͤßte Poetiſche Schoͤnheit auch nicht: ſie bleibt alſo in der Mitte, und ſucht: Behag- lichkeit, * — und zu der gehoͤren auch Jn- verſionen. Die Sprache hat den Punkt der Behag- lichkeit getroffen, die Poeten, Proſaiſten, und Philoſophen ein leichtes Werkzeug iſt; die beiden erſten nutzen von den Jnverſionen: wenn nun ihr Nutzen dem dritten nicht nach- * Man erlaube mir dies Wort, das ein Claßiſcher Schriftſteller unter uns, wenn ich nicht irre, gerechtfertiget hat: der Verf. der Phil. Schr. G 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/107>, abgerufen am 21.11.2024.