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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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kann, weil sie diese nicht mit den kurzen Syl-
ben zu compensiren weiß.

Zu zerstückt in ihren Formen;) Dies zei-
gen die vielen einsylbigen Wörter, und unse-
re ganze Flexion. Unser ganzer Periode be-
kommt also, da die meisten dieser Wörter lang
sind, was steifes, oder Prosaisches. Woher
aber sind sie lang? Weil unsre volltönige
Sprache, die die höheren Accente entbehrt,
sie durch mehrere ersezzen muß, und also fal-
len die Griechischen atona im Deutschen
fort, die den Ton auf die vorhergehende Syl-
be schoben; theils fallen die Lateinischen anci-
pites
weg, die den Ton, der nach einem
hohen folgte, ungewiß lassen konnten. Unsere
Sprache mag in der Wendung des Perioden
noch so biegsam seyn; ihre Bestandtheile kann
sie doch schon nicht ändern, und selbst unsre
Väter im Poetischen Zeitalter ähnlicher Spra-
chen, die Skaldrer, sie haben nie auf Griechi-
sche Art Polymetrisch gesungen; höchstens
Sapphisch, und das ist noch immer die leichtste
Griechische Versart für uns.

Hiezu sezze man nun noch Versuche?
Nicht in Hexametern, sondern in einem freien

Syl-

kann, weil ſie dieſe nicht mit den kurzen Syl-
ben zu compenſiren weiß.

Zu zerſtuͤckt in ihren Formen;) Dies zei-
gen die vielen einſylbigen Woͤrter, und unſe-
re ganze Flexion. Unſer ganzer Periode be-
kommt alſo, da die meiſten dieſer Woͤrter lang
ſind, was ſteifes, oder Proſaiſches. Woher
aber ſind ſie lang? Weil unſre volltoͤnige
Sprache, die die hoͤheren Accente entbehrt,
ſie durch mehrere erſezzen muß, und alſo fal-
len die Griechiſchen ατονα im Deutſchen
fort, die den Ton auf die vorhergehende Syl-
be ſchoben; theils fallen die Lateiniſchen anci-
pites
weg, die den Ton, der nach einem
hohen folgte, ungewiß laſſen konnten. Unſere
Sprache mag in der Wendung des Perioden
noch ſo biegſam ſeyn; ihre Beſtandtheile kann
ſie doch ſchon nicht aͤndern, und ſelbſt unſre
Vaͤter im Poetiſchen Zeitalter aͤhnlicher Spra-
chen, die Skaldrer, ſie haben nie auf Griechi-
ſche Art Polymetriſch geſungen; hoͤchſtens
Sapphiſch, und das iſt noch immer die leichtſte
Griechiſche Versart fuͤr uns.

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Nicht in Hexametern, ſondern in einem freien

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[123/0127] kann, weil ſie dieſe nicht mit den kurzen Syl- ben zu compenſiren weiß. Zu zerſtuͤckt in ihren Formen;) Dies zei- gen die vielen einſylbigen Woͤrter, und unſe- re ganze Flexion. Unſer ganzer Periode be- kommt alſo, da die meiſten dieſer Woͤrter lang ſind, was ſteifes, oder Proſaiſches. Woher aber ſind ſie lang? Weil unſre volltoͤnige Sprache, die die hoͤheren Accente entbehrt, ſie durch mehrere erſezzen muß, und alſo fal- len die Griechiſchen ατονα im Deutſchen fort, die den Ton auf die vorhergehende Syl- be ſchoben; theils fallen die Lateiniſchen anci- pites weg, die den Ton, der nach einem hohen folgte, ungewiß laſſen konnten. Unſere Sprache mag in der Wendung des Perioden noch ſo biegſam ſeyn; ihre Beſtandtheile kann ſie doch ſchon nicht aͤndern, und ſelbſt unſre Vaͤter im Poetiſchen Zeitalter aͤhnlicher Spra- chen, die Skaldrer, ſie haben nie auf Griechi- ſche Art Polymetriſch geſungen; hoͤchſtens Sapphiſch, und das iſt noch immer die leichtſte Griechiſche Versart fuͤr uns. Hiezu ſezze man nun noch Verſuche? Nicht in Hexametern, ſondern in einem freien Syl-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/127>, abgerufen am 21.11.2024.