Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Schriftsteller des ernsten Helvetiens,
Sveviens, und Frankenlandes müssen in dem
Toil ihrer Vaterstadt schreiben, und nicht wie
die Menschenkinder in ganz Deutschland. Jn
religiösen Gesprächen, vornehmlich wenn sie
im Reiche der Todten sind, in Spartanischen
Betrachtungen über die Lykurgische Gesezge-
bung, darf sich der Verfasser freilich nur de-
nen verständlich machen, die ihn verstehen
sollten (nicht wollten; hier liegts nicht an
jemandes Wollen oder Laufen, sondern am
Prädestinirten Sollen). So erscheint die Py-
thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die
Haare sträuben sich: der Mund murmelt
Worte, nur denen verständlich, die sie ver-
stehen sollten:

Obscurum verborum ambage novorum
Ter nouies carmen magico de murmurat ore.

Jndessen, wir arme, ungeweihete Leser!
denken, als logodeou menoi über diese Dun-
kelheit folgendes:

Entweder es ist ein eigensinniger Zwang,
gründlich zu scheinen, wie jenes Pferd die
Epilepsie bekam, um ein Elendthier zu wer-

den,

Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens,
Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem
Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie
die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn
religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie
im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen
Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezge-
bung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur de-
nen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen
ſollten (nicht wollten; hier liegts nicht an
jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am
Praͤdeſtinirten Sollen). So erſcheint die Py-
thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die
Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt
Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie ver-
ſtehen ſollten:

Obſcurum verborum ambage novorum
Ter nouies carmen magico de murmurat ore.

Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer!
denken, als λογωδεου μενοι uͤber dieſe Dun-
kelheit folgendes:

Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang,
gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die
Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu wer-

den,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0140" n="136"/>
          <p>Die Schrift&#x017F;teller des ern&#x017F;ten Helvetiens,<lb/>
Sveviens, und Frankenlandes mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en in dem<lb/>
Toil ihrer Vater&#x017F;tadt &#x017F;chreiben, und nicht wie<lb/>
die Men&#x017F;chenkinder in ganz Deut&#x017F;chland. Jn<lb/>
religio&#x0364;&#x017F;en Ge&#x017F;pra&#x0364;chen, vornehmlich wenn &#x017F;ie<lb/>
im Reiche der Todten &#x017F;ind, in Spartani&#x017F;chen<lb/>
Betrachtungen u&#x0364;ber die Lykurgi&#x017F;che Ge&#x017F;ezge-<lb/>
bung, darf &#x017F;ich der Verfa&#x017F;&#x017F;er freilich nur de-<lb/>
nen ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich machen, die ihn ver&#x017F;tehen<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;ollten</hi> (nicht wollten; hier liegts nicht an<lb/>
jemandes Wollen oder Laufen, &#x017F;ondern am<lb/>
Pra&#x0364;de&#x017F;tinirten <hi rendition="#fr">Sollen).</hi> So er&#x017F;cheint die Py-<lb/>
thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die<lb/>
Haare &#x017F;tra&#x0364;uben &#x017F;ich: der Mund murmelt<lb/>
Worte, nur denen ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich, die &#x017F;ie ver-<lb/>
&#x017F;tehen &#x017F;ollten:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l> <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;curum verborum ambage novorum</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">Ter nouies carmen magico de murmurat ore.</hi> </l>
              </lg>
            </quote>
            <bibl/>
          </cit><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en, wir arme, ungeweihete Le&#x017F;er!<lb/>
denken, als &#x03BB;&#x03BF;&#x03B3;&#x03C9;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BF;&#x03C5; &#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9; u&#x0364;ber die&#x017F;e Dun-<lb/>
kelheit folgendes:</p><lb/>
          <p>Entweder es i&#x017F;t ein eigen&#x017F;inniger Zwang,<lb/>
gru&#x0364;ndlich zu &#x017F;cheinen, wie jenes Pferd die<lb/>
Epilep&#x017F;ie bekam, um ein Elendthier zu wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0140] Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens, Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezge- bung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur de- nen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen ſollten (nicht wollten; hier liegts nicht an jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am Praͤdeſtinirten Sollen). So erſcheint die Py- thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie ver- ſtehen ſollten: Obſcurum verborum ambage novorum Ter nouies carmen magico de murmurat ore. Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer! denken, als λογωδεου μενοι uͤber dieſe Dun- kelheit folgendes: Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang, gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu wer- den,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/140
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/140>, abgerufen am 21.11.2024.