Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

hütten und die Cypressen über das Ge-
sträuch. Jndessen kann man doch auch
über Rom urtheilen.

Die deutsche Bibliothek hat einen zu
weiten Plan, um allgemein zu seyn. Da
sie sich über die erst gezeichneten Gränzen
der Litteratur auch den sogenannten höhern
Wissenschaften mittheilet: so muß sie die
höhern Handwerks- und Kunstwerke nur
in einem philologischen Gesichtspunkte zei-
gen, der dem gemeinen Leser zwar bequem,
aber dem Liebhaber dieses Feldes viel zu
entfernt ist. Entweder man befriedigt
also den leztern nicht, der sie im ganzen
Licht erblicken will: oder man hat dem
grösten Theil der fremden Leser die Fra-
ge vorzulegen: Verstehest du auch, was du
liesest? Entweder man thut den Verfas-
sern nicht gnug; oder fodert vom exote-
rischen Leser ein Pythagoräisches autos
epha, oder das Sokratische Urtheil, das er
über Heraklits Schriften fällte: "auch,
was ich nicht verstehe, ist gut." Jch
könnte aus jedem Theil solche Schriften
anführen, die oft blos aus einem Neben-

ge-

huͤtten und die Cypreſſen uͤber das Ge-
ſtraͤuch. Jndeſſen kann man doch auch
uͤber Rom urtheilen.

Die deutſche Bibliothek hat einen zu
weiten Plan, um allgemein zu ſeyn. Da
ſie ſich uͤber die erſt gezeichneten Graͤnzen
der Litteratur auch den ſogenannten hoͤhern
Wiſſenſchaften mittheilet: ſo muß ſie die
hoͤhern Handwerks- und Kunſtwerke nur
in einem philologiſchen Geſichtspunkte zei-
gen, der dem gemeinen Leſer zwar bequem,
aber dem Liebhaber dieſes Feldes viel zu
entfernt iſt. Entweder man befriedigt
alſo den leztern nicht, der ſie im ganzen
Licht erblicken will: oder man hat dem
groͤſten Theil der fremden Leſer die Fra-
ge vorzulegen: Verſteheſt du auch, was du
lieſeſt? Entweder man thut den Verfaſ-
ſern nicht gnug; oder fodert vom exote-
riſchen Leſer ein Pythagoraͤiſches αυτος
εφα, oder das Sokratiſche Urtheil, das er
uͤber Heraklits Schriften faͤllte: „auch,
was ich nicht verſtehe, iſt gut.„ Jch
koͤnnte aus jedem Theil ſolche Schriften
anfuͤhren, die oft blos aus einem Neben-

ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="11"/>
hu&#x0364;tten und die Cypre&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;ber das Ge-<lb/>
&#x017F;tra&#x0364;uch. Jnde&#x017F;&#x017F;en kann man doch auch<lb/>
u&#x0364;ber Rom urtheilen.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#fr">deut&#x017F;che Bibliothek</hi> hat einen zu<lb/>
weiten Plan, um allgemein zu &#x017F;eyn. Da<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich u&#x0364;ber die er&#x017F;t gezeichneten Gra&#x0364;nzen<lb/>
der Litteratur auch den &#x017F;ogenannten ho&#x0364;hern<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften mittheilet: &#x017F;o muß &#x017F;ie die<lb/>
ho&#x0364;hern Handwerks- und Kun&#x017F;twerke nur<lb/>
in einem philologi&#x017F;chen Ge&#x017F;ichtspunkte zei-<lb/>
gen, der dem gemeinen Le&#x017F;er zwar bequem,<lb/>
aber dem Liebhaber die&#x017F;es Feldes viel zu<lb/>
entfernt i&#x017F;t. Entweder man befriedigt<lb/>
al&#x017F;o den leztern nicht, der &#x017F;ie im ganzen<lb/>
Licht erblicken will: oder man hat dem<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;ten Theil der fremden Le&#x017F;er die Fra-<lb/>
ge vorzulegen: Ver&#x017F;tehe&#x017F;t du auch, was du<lb/>
lie&#x017F;e&#x017F;t? Entweder man thut den Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern nicht gnug; oder fodert vom exote-<lb/>
ri&#x017F;chen Le&#x017F;er ein Pythagora&#x0364;i&#x017F;ches &#x03B1;&#x03C5;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2;<lb/>
&#x03B5;&#x03C6;&#x03B1;, oder das Sokrati&#x017F;che Urtheil, das er<lb/>
u&#x0364;ber Heraklits Schriften fa&#x0364;llte: &#x201E;auch,<lb/>
was ich nicht ver&#x017F;tehe, i&#x017F;t gut.&#x201E; Jch<lb/>
ko&#x0364;nnte aus jedem Theil &#x017F;olche Schriften<lb/>
anfu&#x0364;hren, die oft blos aus einem Neben-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0015] huͤtten und die Cypreſſen uͤber das Ge- ſtraͤuch. Jndeſſen kann man doch auch uͤber Rom urtheilen. Die deutſche Bibliothek hat einen zu weiten Plan, um allgemein zu ſeyn. Da ſie ſich uͤber die erſt gezeichneten Graͤnzen der Litteratur auch den ſogenannten hoͤhern Wiſſenſchaften mittheilet: ſo muß ſie die hoͤhern Handwerks- und Kunſtwerke nur in einem philologiſchen Geſichtspunkte zei- gen, der dem gemeinen Leſer zwar bequem, aber dem Liebhaber dieſes Feldes viel zu entfernt iſt. Entweder man befriedigt alſo den leztern nicht, der ſie im ganzen Licht erblicken will: oder man hat dem groͤſten Theil der fremden Leſer die Fra- ge vorzulegen: Verſteheſt du auch, was du lieſeſt? Entweder man thut den Verfaſ- ſern nicht gnug; oder fodert vom exote- riſchen Leſer ein Pythagoraͤiſches αυτος εφα, oder das Sokratiſche Urtheil, das er uͤber Heraklits Schriften faͤllte: „auch, was ich nicht verſtehe, iſt gut.„ Jch koͤnnte aus jedem Theil ſolche Schriften anfuͤhren, die oft blos aus einem Neben- ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/15
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/15>, abgerufen am 21.11.2024.