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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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schen Sprache, denn ihres historischen
Stils wegen. Die Poetische Sprache!
Ein Deutscher Horaz würde unsre Sprache
gewiß bereichern, und unsern Perioden der
Ode bestimmen, daß er ganz das Ohr fül-
let. Da Ramler das lezte im Deutschen
am besten getroffen und überhaupt viele
Känntniß des Antiken und Deutschen Wohl-
klanges zu haben scheint: von wem sollen wir
uns einen Deutschen Horaz lieber wünschen,
als von ihm? Horaz ist seiner Sprache ganz
Meister. Sein Periode wird ein Gemälde,
wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an
denen er glücklich ist, eine Figur ausmachet:
die Anordnung dieser Figuren erhebet dabei
das ganze Gemälde: man versuche es, Wör-
ter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu
rücken, und das Bild leidet allemal: dies ist
ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeu-
tung legt. Jn der That, es kommt mir vor,
daß Horaz den Griechen das meiste unter
den Lateinischen Dichtern abgelernt: seine
Freiheit in Bildung schöner Gräcismen, und
sein wirklich Griechischer Wohlklang würden
uns in der schwersten Gattung der Gedichte

zei-
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ſchen Sprache, denn ihres hiſtoriſchen
Stils wegen. Die Poetiſche Sprache!
Ein Deutſcher Horaz wuͤrde unſre Sprache
gewiß bereichern, und unſern Perioden der
Ode beſtimmen, daß er ganz das Ohr fuͤl-
let. Da Ramler das lezte im Deutſchen
am beſten getroffen und uͤberhaupt viele
Kaͤnntniß des Antiken und Deutſchen Wohl-
klanges zu haben ſcheint: von wem ſollen wir
uns einen Deutſchen Horaz lieber wuͤnſchen,
als von ihm? Horaz iſt ſeiner Sprache ganz
Meiſter. Sein Periode wird ein Gemaͤlde,
wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an
denen er gluͤcklich iſt, eine Figur ausmachet:
die Anordnung dieſer Figuren erhebet dabei
das ganze Gemaͤlde: man verſuche es, Woͤr-
ter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu
ruͤcken, und das Bild leidet allemal: dies iſt
ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeu-
tung legt. Jn der That, es kommt mir vor,
daß Horaz den Griechen das meiſte unter
den Lateiniſchen Dichtern abgelernt: ſeine
Freiheit in Bildung ſchoͤner Graͤciſmen, und
ſein wirklich Griechiſcher Wohlklang wuͤrden
uns in der ſchwerſten Gattung der Gedichte

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[83/0087] ſchen Sprache, denn ihres hiſtoriſchen Stils wegen. Die Poetiſche Sprache! Ein Deutſcher Horaz wuͤrde unſre Sprache gewiß bereichern, und unſern Perioden der Ode beſtimmen, daß er ganz das Ohr fuͤl- let. Da Ramler das lezte im Deutſchen am beſten getroffen und uͤberhaupt viele Kaͤnntniß des Antiken und Deutſchen Wohl- klanges zu haben ſcheint: von wem ſollen wir uns einen Deutſchen Horaz lieber wuͤnſchen, als von ihm? Horaz iſt ſeiner Sprache ganz Meiſter. Sein Periode wird ein Gemaͤlde, wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an denen er gluͤcklich iſt, eine Figur ausmachet: die Anordnung dieſer Figuren erhebet dabei das ganze Gemaͤlde: man verſuche es, Woͤr- ter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu ruͤcken, und das Bild leidet allemal: dies iſt ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeu- tung legt. Jn der That, es kommt mir vor, daß Horaz den Griechen das meiſte unter den Lateiniſchen Dichtern abgelernt: ſeine Freiheit in Bildung ſchoͤner Graͤciſmen, und ſein wirklich Griechiſcher Wohlklang wuͤrden uns in der ſchwerſten Gattung der Gedichte zei- F 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/87>, abgerufen am 23.11.2024.