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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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ren Possenstücke, die Komödien Satyren, und
Oden und Tragödien noch nicht geboren wa-
ren. Vor den regelmäßigen Stücken im schö-
nen Stil muste das große wüste Unregel-
mäßige
voran gehen.

Und eben diesem Zeitalter ist auch die Di-
thyrambische Sprache gemäß, die in Worten
neu, kühn und unförmlich; in Constru-
ctionen verflochten und unregelmäßig war:
eine Sprache, wie sie vor ihrer Ausbildung
ist. Alsdenn hat noch jeder Sänger das
Recht, neue Worte zu machen, weil man von
ihnen noch keine gehörige Anzahl hat; sie kön-
nen kühn zusammengesezt seyn, weil Form
und Lenkung nicht gnug bestimmt ist. Hin-
gegen eine völlig gebildete Sprache ist nicht
Dithyrambisch, sondern vernünftig und mit
Gesezzen umschränkt.

So auch das Sylbenmaas: Gesezlos, wie
ihr Tanz und die Töne der Sprache; aber
nothwendig desto Polymetrischer, tönender
und abwechselnder.

So auch die Musik: Die Phrygische Mu-
sik, die rasend machte, die Steine belebte,

zum

ren Poſſenſtuͤcke, die Komoͤdien Satyren, und
Oden und Tragoͤdien noch nicht geboren wa-
ren. Vor den regelmaͤßigen Stuͤcken im ſchoͤ-
nen Stil muſte das große wuͤſte Unregel-
maͤßige
voran gehen.

Und eben dieſem Zeitalter iſt auch die Di-
thyrambiſche Sprache gemaͤß, die in Worten
neu, kuͤhn und unfoͤrmlich; in Conſtru-
ctionen verflochten und unregelmaͤßig war:
eine Sprache, wie ſie vor ihrer Ausbildung
iſt. Alsdenn hat noch jeder Saͤnger das
Recht, neue Worte zu machen, weil man von
ihnen noch keine gehoͤrige Anzahl hat; ſie koͤn-
nen kuͤhn zuſammengeſezt ſeyn, weil Form
und Lenkung nicht gnug beſtimmt iſt. Hin-
gegen eine voͤllig gebildete Sprache iſt nicht
Dithyrambiſch, ſondern vernuͤnftig und mit
Geſezzen umſchraͤnkt.

So auch das Sylbenmaas: Geſezlos, wie
ihr Tanz und die Toͤne der Sprache; aber
nothwendig deſto Polymetriſcher, toͤnender
und abwechſelnder.

So auch die Muſik: Die Phrygiſche Mu-
ſik, die raſend machte, die Steine belebte,

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[308/0140] ren Poſſenſtuͤcke, die Komoͤdien Satyren, und Oden und Tragoͤdien noch nicht geboren wa- ren. Vor den regelmaͤßigen Stuͤcken im ſchoͤ- nen Stil muſte das große wuͤſte Unregel- maͤßige voran gehen. Und eben dieſem Zeitalter iſt auch die Di- thyrambiſche Sprache gemaͤß, die in Worten neu, kuͤhn und unfoͤrmlich; in Conſtru- ctionen verflochten und unregelmaͤßig war: eine Sprache, wie ſie vor ihrer Ausbildung iſt. Alsdenn hat noch jeder Saͤnger das Recht, neue Worte zu machen, weil man von ihnen noch keine gehoͤrige Anzahl hat; ſie koͤn- nen kuͤhn zuſammengeſezt ſeyn, weil Form und Lenkung nicht gnug beſtimmt iſt. Hin- gegen eine voͤllig gebildete Sprache iſt nicht Dithyrambiſch, ſondern vernuͤnftig und mit Geſezzen umſchraͤnkt. So auch das Sylbenmaas: Geſezlos, wie ihr Tanz und die Toͤne der Sprache; aber nothwendig deſto Polymetriſcher, toͤnender und abwechſelnder. So auch die Muſik: Die Phrygiſche Mu- ſik, die raſend machte, die Steine belebte, zum

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/140>, abgerufen am 04.12.2024.