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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Das Titelblatt verspricht uns Dithyram-
ben: die Vorrede verspricht sie nur halb: und
das Buch selbst liefert gar keine.

Zuerst: Der Kunstgrif, uns seine Samm-
lung von Liedern, als ein Ganzes in die
Hände zu spielen, geht von der Einfalt der
alten Dithyrambisten völlig ab. Und von
der Wahrheit selbst: denn sind diese Stu-
cke Theile zum Ganzen, weil sie auf einander
folgen? So ist ja alles, was ich in einen
Band binden lasse, auch ein Ganzes; aber
kein Oden ganzes. Jch glaube doch nicht,
daß um einen Sprung zu thun, Sicilien
mit Johann Sobieski und dieser mit Pe-
ter
gränzet. Der soll mein großer Apoll
seyn, der mir zwischen diesen Stücken Zusam-
menhang nach Zeit, oder Ort, oder Jnhalt,
oder nach den Gesezzen der Einbildungskraft,
findet. Vermuthlich aber nach den Gesezzen
der Einbildungskraft -- denn die erste Di-
thyrambe soll die Begeisterung wohrscheinlich
machen. Nun! so hätte sie auch an die Jung-
fer Maria gerichtet seyn können, um (alles
zugegeben,) die folgenden Gegenstände zu be-
singen. Dies wäre noch wenigstens ein er-

bau-

Das Titelblatt verſpricht uns Dithyram-
ben: die Vorrede verſpricht ſie nur halb: und
das Buch ſelbſt liefert gar keine.

Zuerſt: Der Kunſtgrif, uns ſeine Samm-
lung von Liedern, als ein Ganzes in die
Haͤnde zu ſpielen, geht von der Einfalt der
alten Dithyrambiſten voͤllig ab. Und von
der Wahrheit ſelbſt: denn ſind dieſe Stů-
cke Theile zum Ganzen, weil ſie auf einander
folgen? So iſt ja alles, was ich in einen
Band binden laſſe, auch ein Ganzes; aber
kein Oden ganzes. Jch glaube doch nicht,
daß um einen Sprung zu thun, Sicilien
mit Johann Sobieski und dieſer mit Pe-
ter
graͤnzet. Der ſoll mein großer Apoll
ſeyn, der mir zwiſchen dieſen Stuͤcken Zuſam-
menhang nach Zeit, oder Ort, oder Jnhalt,
oder nach den Geſezzen der Einbildungskraft,
findet. Vermuthlich aber nach den Geſezzen
der Einbildungskraft — denn die erſte Di-
thyrambe ſoll die Begeiſterung wohrſcheinlich
machen. Nun! ſo haͤtte ſie auch an die Jung-
fer Maria gerichtet ſeyn koͤnnen, um (alles
zugegeben,) die folgenden Gegenſtaͤnde zu be-
ſingen. Dies waͤre noch wenigſtens ein er-

bau-
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[319/0151] Das Titelblatt verſpricht uns Dithyram- ben: die Vorrede verſpricht ſie nur halb: und das Buch ſelbſt liefert gar keine. Zuerſt: Der Kunſtgrif, uns ſeine Samm- lung von Liedern, als ein Ganzes in die Haͤnde zu ſpielen, geht von der Einfalt der alten Dithyrambiſten voͤllig ab. Und von der Wahrheit ſelbſt: denn ſind dieſe Stů- cke Theile zum Ganzen, weil ſie auf einander folgen? So iſt ja alles, was ich in einen Band binden laſſe, auch ein Ganzes; aber kein Oden ganzes. Jch glaube doch nicht, daß um einen Sprung zu thun, Sicilien mit Johann Sobieski und dieſer mit Pe- ter graͤnzet. Der ſoll mein großer Apoll ſeyn, der mir zwiſchen dieſen Stuͤcken Zuſam- menhang nach Zeit, oder Ort, oder Jnhalt, oder nach den Geſezzen der Einbildungskraft, findet. Vermuthlich aber nach den Geſezzen der Einbildungskraft — denn die erſte Di- thyrambe ſoll die Begeiſterung wohrſcheinlich machen. Nun! ſo haͤtte ſie auch an die Jung- fer Maria gerichtet ſeyn koͤnnen, um (alles zugegeben,) die folgenden Gegenſtaͤnde zu be- ſingen. Dies waͤre noch wenigſtens ein er- bau-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/151>, abgerufen am 21.05.2024.