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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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baulicher Standpunkt gewesen, um nachher
Kirchenseufzer, an die heilige Mutter zu schi-
cken -- aber jezt ist es widersinnig, daß eine
trunkne Mönade an dem Wagen Bacchus
jezt Erdbeben, jezt eine Entsezzung der Ve-
stung, jezt die Schöpfung eines Reichs, jezt
Krieg, jezt Frieden finget, 9 Uhrwerke ab-
laufen läßt, und alsdenn vom Bacchus höf-
lich Abschied nimmt. Folgt es wohl, aus
der Begeisterung des Bacchus, Krieg und
Helden, bald dies, bald jenes zu singen, was
oft gar nicht in den Mund eines Säufers ge-
hört? Die Mönade wird abentheuerlich, die
sich jezt an den Wagen des Bacchus dränget,
den Augenblick am Hebrus und Rhodope,
den Augenblick drauf bei Naxos ist, wo sie,
(die Weitsehende!) Tokay und den Rhein
sieht, wo sie schwärmt, wo sie singen will
hochfahrend, wie die Schwingen der Winds-
braut, wo sie vom Bacchus begeistert, aus-
ruft: hört! und an ihren Begeisterer und an
seinen Wagen nachher niemals denkt, kaum
an ihn einmal im Vorbeigehen denkt, da er
durch einen Zufall eben über Meißens Ge-
bürge spazieren fährt, bis sie sich ihm endlich

em-

baulicher Standpunkt geweſen, um nachher
Kirchenſeufzer, an die heilige Mutter zu ſchi-
cken — aber jezt iſt es widerſinnig, daß eine
trunkne Moͤnade an dem Wagen Bacchus
jezt Erdbeben, jezt eine Entſezzung der Ve-
ſtung, jezt die Schoͤpfung eines Reichs, jezt
Krieg, jezt Frieden finget, 9 Uhrwerke ab-
laufen laͤßt, und alsdenn vom Bacchus hoͤf-
lich Abſchied nimmt. Folgt es wohl, aus
der Begeiſterung des Bacchus, Krieg und
Helden, bald dies, bald jenes zu ſingen, was
oft gar nicht in den Mund eines Saͤufers ge-
hoͤrt? Die Moͤnade wird abentheuerlich, die
ſich jezt an den Wagen des Bacchus draͤnget,
den Augenblick am Hebrus und Rhodope,
den Augenblick drauf bei Naxos iſt, wo ſie,
(die Weitſehende!) Tokay und den Rhein
ſieht, wo ſie ſchwaͤrmt, wo ſie ſingen will
hochfahrend, wie die Schwingen der Winds-
braut, wo ſie vom Bacchus begeiſtert, aus-
ruft: hoͤrt! und an ihren Begeiſterer und an
ſeinen Wagen nachher niemals denkt, kaum
an ihn einmal im Vorbeigehen denkt, da er
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[320/0152] baulicher Standpunkt geweſen, um nachher Kirchenſeufzer, an die heilige Mutter zu ſchi- cken — aber jezt iſt es widerſinnig, daß eine trunkne Moͤnade an dem Wagen Bacchus jezt Erdbeben, jezt eine Entſezzung der Ve- ſtung, jezt die Schoͤpfung eines Reichs, jezt Krieg, jezt Frieden finget, 9 Uhrwerke ab- laufen laͤßt, und alsdenn vom Bacchus hoͤf- lich Abſchied nimmt. Folgt es wohl, aus der Begeiſterung des Bacchus, Krieg und Helden, bald dies, bald jenes zu ſingen, was oft gar nicht in den Mund eines Saͤufers ge- hoͤrt? Die Moͤnade wird abentheuerlich, die ſich jezt an den Wagen des Bacchus draͤnget, den Augenblick am Hebrus und Rhodope, den Augenblick drauf bei Naxos iſt, wo ſie, (die Weitſehende!) Tokay und den Rhein ſieht, wo ſie ſchwaͤrmt, wo ſie ſingen will hochfahrend, wie die Schwingen der Winds- braut, wo ſie vom Bacchus begeiſtert, aus- ruft: hoͤrt! und an ihren Begeiſterer und an ſeinen Wagen nachher niemals denkt, kaum an ihn einmal im Vorbeigehen denkt, da er durch einen Zufall eben uͤber Meißens Ge- buͤrge ſpazieren faͤhrt, bis ſie ſich ihm endlich em-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/152>, abgerufen am 21.11.2024.