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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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"kann, bis es von einem Gott ergriffen,
"außer sich gesezt wird. Alsdenn singt je-
"ner Lobgesange, dieser Dithyramben.*" --
Jn der That! ich wollte lieber diese wenige
Worte gefühlt, als alle zehn Dithyramben
gesungen haben: und doch fand der so begei-
sterte Sokrates, sich blos tüchtig -- Aeso-
pische Fabeln zu schreiben: also mochte man-
cher Dithyrambist auch in das Feld gehoren,
mittelmäßige Dialogische Fabeln zu schreiben,
aber "vom Verfasser der Dithyramben."

Aus der Vereinigung der beiden berühr-
ten Stücke, der Begeisterung, die eine Fol-
ge von Gemälden leitet, entspringt das, was
man im Pindar, als Unordnung bewundert,
was man zu seinem Schwunge, und den
Sprüngen seiner Ode rechnet. Es ist im-
mer ein besonderer Einfall, ** den Einfall des
großen Youngs von seiner Höhe abzubrechen,
und im Pindar eine Aristotelische Logik zu
suchen. Pindars Gang ist der Schritt der
begeisterten Einbildungskraft, die, was sie

siehet,
* Platons Jo.
** de logica Pindari: ein Programm von eben
dem Verf.

„kann, bis es von einem Gott ergriffen,
„außer ſich geſezt wird. Alsdenn ſingt je-
„ner Lobgeſånge, dieſer Dithyramben.*„ —
Jn der That! ich wollte lieber dieſe wenige
Worte gefuͤhlt, als alle zehn Dithyramben
geſungen haben: und doch fand der ſo begei-
ſterte Sokrates, ſich blos tuͤchtig — Aeſo-
piſche Fabeln zu ſchreiben: alſo mo̊chte man-
cher Dithyrambiſt auch in das Feld geho̊ren,
mittelmaͤßige Dialogiſche Fabeln zu ſchreiben,
aber „vom Verfaſſer der Dithyramben.„

Aus der Vereinigung der beiden beruͤhr-
ten Stuͤcke, der Begeiſterung, die eine Fol-
ge von Gemaͤlden leitet, entſpringt das, was
man im Pindar, als Unordnung bewundert,
was man zu ſeinem Schwunge, und den
Spruͤngen ſeiner Ode rechnet. Es iſt im-
mer ein beſonderer Einfall, ** den Einfall des
großen Youngs von ſeiner Hoͤhe abzubrechen,
und im Pindar eine Ariſtoteliſche Logik zu
ſuchen. Pindars Gang iſt der Schritt der
begeiſterten Einbildungskraft, die, was ſie

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* Platons Jo.
** de logica Pindari: ein Programm von eben
dem Verf.
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[330/0162] „kann, bis es von einem Gott ergriffen, „außer ſich geſezt wird. Alsdenn ſingt je- „ner Lobgeſånge, dieſer Dithyramben. *„ — Jn der That! ich wollte lieber dieſe wenige Worte gefuͤhlt, als alle zehn Dithyramben geſungen haben: und doch fand der ſo begei- ſterte Sokrates, ſich blos tuͤchtig — Aeſo- piſche Fabeln zu ſchreiben: alſo mo̊chte man- cher Dithyrambiſt auch in das Feld geho̊ren, mittelmaͤßige Dialogiſche Fabeln zu ſchreiben, aber „vom Verfaſſer der Dithyramben.„ Aus der Vereinigung der beiden beruͤhr- ten Stuͤcke, der Begeiſterung, die eine Fol- ge von Gemaͤlden leitet, entſpringt das, was man im Pindar, als Unordnung bewundert, was man zu ſeinem Schwunge, und den Spruͤngen ſeiner Ode rechnet. Es iſt im- mer ein beſonderer Einfall, ** den Einfall des großen Youngs von ſeiner Hoͤhe abzubrechen, und im Pindar eine Ariſtoteliſche Logik zu ſuchen. Pindars Gang iſt der Schritt der begeiſterten Einbildungskraft, die, was ſie ſiehet, * Platons Jo. ** de logica Pindari: ein Programm von eben dem Verf.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/162>, abgerufen am 21.11.2024.