Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
4.
Tyrtäus und der Grenadier.

Aber Gleim gilt bei mir in einem andern
Gesichtspunkt noch mehr -- er ist unser
Grenadier.* Tyrtäus und der Grena-
dier
-- ich glaube bei dieser Vergleichung
eine zuversichtliche Mine annehmen zu können.
Jener war das Geschenk des Orakels für
Sparta, wie dieser für den Ruhm Deutsch-
lands: ich sage nicht, für den Ruhm seines
Heers, weil dieses vielleicht einen Tyrtäus
nicht so nöthig hatte, als das muthlose Spar-
ta. Daß der Deutsche nicht durch seine Lie-
der eben dasselbe Verdienst, und eben densel-
ben Lohn hat erlangen können: liegt nicht an
seinen Gesängen, sondern an unsrer unpoeti-
schen Zeit, in der man nicht mehr, wie in
Griechenland den Musen, vor der Schlacht
opfert. Dort wären seine Lieder unter Pau-
ken- und Trompetenschall erklungen: sie hätten
die Fahnen voll Muth empor geschwungen, die
Schwerter entblößt, dem Feinde Panisches

Schre-
* Litt. Br. Th. 17. p. 6. 7.
Z 3
4.
Tyrtaͤus und der Grenadier.

Aber Gleim gilt bei mir in einem andern
Geſichtspunkt noch mehr — er iſt unſer
Grenadier.* Tyrtaͤus und der Grena-
dier
— ich glaube bei dieſer Vergleichung
eine zuverſichtliche Mine annehmen zu koͤnnen.
Jener war das Geſchenk des Orakels fuͤr
Sparta, wie dieſer fuͤr den Ruhm Deutſch-
lands: ich ſage nicht, fuͤr den Ruhm ſeines
Heers, weil dieſes vielleicht einen Tyrtaͤus
nicht ſo noͤthig hatte, als das muthloſe Spar-
ta. Daß der Deutſche nicht durch ſeine Lie-
der eben daſſelbe Verdienſt, und eben denſel-
ben Lohn hat erlangen koͤnnen: liegt nicht an
ſeinen Geſaͤngen, ſondern an unſrer unpoeti-
ſchen Zeit, in der man nicht mehr, wie in
Griechenland den Muſen, vor der Schlacht
opfert. Dort waͤren ſeine Lieder unter Pau-
ken- und Trompetenſchall erklungen: ſie haͤtten
die Fahnen voll Muth empor geſchwungen, die
Schwerter entbloͤßt, dem Feinde Paniſches

Schre-
* Litt. Br. Th. 17. p. 6. 7.
Z 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0177" n="345"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">4.</hi><lb/>
Tyrta&#x0364;us und der Grenadier.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">A</hi>ber Gleim gilt bei mir in einem andern<lb/>
Ge&#x017F;ichtspunkt noch mehr &#x2014; er i&#x017F;t un&#x017F;er<lb/><hi rendition="#fr">Grenadier.</hi><note place="foot" n="*">Litt. Br. Th. 17. p. 6. 7.</note> <hi rendition="#fr">Tyrta&#x0364;us</hi> und der <hi rendition="#fr">Grena-<lb/>
dier</hi> &#x2014; ich glaube bei die&#x017F;er Vergleichung<lb/>
eine zuver&#x017F;ichtliche Mine annehmen zu ko&#x0364;nnen.<lb/>
Jener war das Ge&#x017F;chenk des Orakels fu&#x0364;r<lb/>
Sparta, wie die&#x017F;er fu&#x0364;r den Ruhm Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands: ich &#x017F;age nicht, fu&#x0364;r den Ruhm &#x017F;eines<lb/>
Heers, weil die&#x017F;es vielleicht einen Tyrta&#x0364;us<lb/>
nicht &#x017F;o no&#x0364;thig hatte, als das muthlo&#x017F;e Spar-<lb/>
ta. Daß der Deut&#x017F;che nicht durch &#x017F;eine Lie-<lb/>
der eben da&#x017F;&#x017F;elbe Verdien&#x017F;t, und eben den&#x017F;el-<lb/>
ben Lohn hat erlangen ko&#x0364;nnen: liegt nicht an<lb/>
&#x017F;einen Ge&#x017F;a&#x0364;ngen, &#x017F;ondern an un&#x017F;rer unpoeti-<lb/>
&#x017F;chen Zeit, in der man nicht mehr, wie in<lb/>
Griechenland den Mu&#x017F;en, vor der Schlacht<lb/>
opfert. Dort wa&#x0364;ren &#x017F;eine Lieder unter Pau-<lb/>
ken- und Trompeten&#x017F;chall erklungen: &#x017F;ie ha&#x0364;tten<lb/>
die Fahnen voll Muth empor ge&#x017F;chwungen, die<lb/>
Schwerter entblo&#x0364;ßt, dem Feinde Pani&#x017F;ches<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Schre-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0177] 4. Tyrtaͤus und der Grenadier. Aber Gleim gilt bei mir in einem andern Geſichtspunkt noch mehr — er iſt unſer Grenadier. * Tyrtaͤus und der Grena- dier — ich glaube bei dieſer Vergleichung eine zuverſichtliche Mine annehmen zu koͤnnen. Jener war das Geſchenk des Orakels fuͤr Sparta, wie dieſer fuͤr den Ruhm Deutſch- lands: ich ſage nicht, fuͤr den Ruhm ſeines Heers, weil dieſes vielleicht einen Tyrtaͤus nicht ſo noͤthig hatte, als das muthloſe Spar- ta. Daß der Deutſche nicht durch ſeine Lie- der eben daſſelbe Verdienſt, und eben denſel- ben Lohn hat erlangen koͤnnen: liegt nicht an ſeinen Geſaͤngen, ſondern an unſrer unpoeti- ſchen Zeit, in der man nicht mehr, wie in Griechenland den Muſen, vor der Schlacht opfert. Dort waͤren ſeine Lieder unter Pau- ken- und Trompetenſchall erklungen: ſie haͤtten die Fahnen voll Muth empor geſchwungen, die Schwerter entbloͤßt, dem Feinde Paniſches Schre- * Litt. Br. Th. 17. p. 6. 7. Z 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/177
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/177>, abgerufen am 21.11.2024.