Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.Von dem sanften Sapphischen Feuer ist Endlich die Wahl ihres Wohlklanges hat Jch wünsche unsrer Dichterin indessen Sappho
Von dem ſanften Sapphiſchen Feuer iſt Endlich die Wahl ihres Wohlklanges hat Jch wuͤnſche unſrer Dichterin indeſſen Sappho
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Von dem ſanften Sapphiſchen Feuer iſt
Longin, Catull und alle ihre Erklaͤrer, nur
nicht der boͤſe Phaon, durchdrungen gewe-
ſen; und Longin, der Erhalter dieſes Stuͤcks,
hat das Kunſtſtuͤck des Baumgartens vor-
treflich gewuſt. ſeine Regeln vom hohen Em-
pfindungsvollen in ſein Beiſpiel ſelbſt einzu-
weben; allein die Deutſche Sappho, in ihrem
Feuer mehr wild als ſanft, mehr ſtuͤrmiſch
als ſchmelzend, doͤrfte eher in ihren Werken
Androgyne ſeyn, als eine zaͤrtliche Freundin
der Venus, wie die Griechin war.
Endlich die Wahl ihres Wohlklanges hat
den Horaz zum Nachfolger erweckt, aber
weit hinter ſich gelaſſen: werden aber wohl
Deutſche Horaze unſre Karſchin zum Mu-
ſter nehmen wollen? Doͤrfte die Griechiſche
Sappho nicht zu ihr ſagen, was ſie nach ei-
nem ihrer Fragmente ihrem Maͤdchen ſagt:
„Du haſt ja nie Roſen gepfluͤckt, auf den
„Pieriſchen Bergen, wo die Muſen und Gra-
„zien wohnen.„
Jch wuͤnſche unſrer Dichterin indeſſen
nichts ſo ſehr, als nicht das Gegenbild der
Sappho
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