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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Beispiele allemal; und neben dieser Hoheit,
ein Muster werden zu können, braucht man
blos ein gutes Auge, andre zu sehen, und
einen guten Willen, sich mittheilen zu wollen.

Weil es aber gefährlich ist, als ein zwei-
ter Prometheus, den Elektrischen Funken vom
Himmel selbst zu holen; weil es schwerer ist,
Künstler, als ein Sophist über die Kunst zu
seyn; weil das Kunstrichteransehen immer
Verminderung befürchtet, wenn es sich selbst
der Beurtheilung unterziehen soll: so ist der
Mittelweg die gewöhnliche Straße: man be-
trachtet die Werke der Andern,
um
durch sie aufzumuntern. Und dies ist die drit-
te und üblichste Art, zu der ein gutes Auge
zu sehen und zu vergleichen, Aehnlichkeit und
Unterschied zu bemerken, und ein guter Ver-
stand gehört, rathen zu können.

Jch will also die Deutschen Nachahmun-
gen mit ihren Originalen vergleichen; ihren
Werth gegen einander abwägen, und fragen:
warum Apoll den Deutschen noch immer sa-
gen kann, was er dort durchs Orakel den

Aegi-
O 5

Beiſpiele allemal; und neben dieſer Hoheit,
ein Muſter werden zu koͤnnen, braucht man
blos ein gutes Auge, andre zu ſehen, und
einen guten Willen, ſich mittheilen zu wollen.

Weil es aber gefaͤhrlich iſt, als ein zwei-
ter Prometheus, den Elektriſchen Funken vom
Himmel ſelbſt zu holen; weil es ſchwerer iſt,
Kuͤnſtler, als ein Sophiſt uͤber die Kunſt zu
ſeyn; weil das Kunſtrichteranſehen immer
Verminderung befuͤrchtet, wenn es ſich ſelbſt
der Beurtheilung unterziehen ſoll: ſo iſt der
Mittelweg die gewoͤhnliche Straße: man be-
trachtet die Werke der Andern,
um
durch ſie aufzumuntern. Und dies iſt die drit-
te und uͤblichſte Art, zu der ein gutes Auge
zu ſehen und zu vergleichen, Aehnlichkeit und
Unterſchied zu bemerken, und ein guter Ver-
ſtand gehoͤrt, rathen zu koͤnnen.

Jch will alſo die Deutſchen Nachahmun-
gen mit ihren Originalen vergleichen; ihren
Werth gegen einander abwaͤgen, und fragen:
warum Apoll den Deutſchen noch immer ſa-
gen kann, was er dort durchs Orakel den

Aegi-
O 5
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[205/0037] Beiſpiele allemal; und neben dieſer Hoheit, ein Muſter werden zu koͤnnen, braucht man blos ein gutes Auge, andre zu ſehen, und einen guten Willen, ſich mittheilen zu wollen. Weil es aber gefaͤhrlich iſt, als ein zwei- ter Prometheus, den Elektriſchen Funken vom Himmel ſelbſt zu holen; weil es ſchwerer iſt, Kuͤnſtler, als ein Sophiſt uͤber die Kunſt zu ſeyn; weil das Kunſtrichteranſehen immer Verminderung befuͤrchtet, wenn es ſich ſelbſt der Beurtheilung unterziehen ſoll: ſo iſt der Mittelweg die gewoͤhnliche Straße: man be- trachtet die Werke der Andern, um durch ſie aufzumuntern. Und dies iſt die drit- te und uͤblichſte Art, zu der ein gutes Auge zu ſehen und zu vergleichen, Aehnlichkeit und Unterſchied zu bemerken, und ein guter Ver- ſtand gehoͤrt, rathen zu koͤnnen. Jch will alſo die Deutſchen Nachahmun- gen mit ihren Originalen vergleichen; ihren Werth gegen einander abwaͤgen, und fragen: warum Apoll den Deutſchen noch immer ſa- gen kann, was er dort durchs Orakel den Aegi- O 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/37>, abgerufen am 23.11.2024.