Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.Für uns sind diese Fabeln halbverloren, Wo
Fuͤr uns ſind dieſe Fabeln halbverloren, Wo
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Fuͤr uns ſind dieſe Fabeln halbverloren,
oder fremde, oder todt; da unſere mehr
wiſſenſchaftliche und denkende Lebensart
ſie ausgetilget, oder gelaͤutert hat. Die
ſchrecklichen Donnerwetter, die an dem Mee-
re aufſtiegen, und uͤber ihr Land nach Ara-
bien hinzogen, waren in ihren Augen Don-
nerpferde, die den Wagen Jehovahs durch
die Wolken zogen; ihnen hat David alſo ſo
viel große Bilder, und inſonderheit den vor-
treflichen 29ſten Pſalm geweihet. Bei uns
ſind die Cherubim nicht eigentlich mehr leben-
de Jdole der Phantaſie; noch glauben zwar
Kinder und Weiber das, was unſer Dichter
ſingt: „GOtt faͤhrt in den Wolken, um Don-
„nerkeule zu ſchleudern;„ der Weltweiſe aber
und ſein Bruder, der Philoſophiſche Dichter,
wird, ſeitdem Prometheus den Elektriſchen
Funken vom Himmel ſtahl, eher den Elektri-
ſchen Blitzfunken, als ſo oft wiederholte Bil-
der ſingen. Wo iſt bei uns der Engel des
Todes, mit ſeinem flammenden Schwert,
deſſen Gefolge und Verrichtungen jene ſo gut
kannten? Er iſt entweder ein Unding, oder
nach den Jdolen unſers Poͤbels ein Gerippe!
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