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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Hievon rede ich nicht; sondern frage: ob
diese Sprache auch über Begriffe, über
Reihen von Wahrheiten, über Beweise,
über Eintheilungen und Unterschiede, ja
gar über Methode und Denkart eine Zauber-
kraft habe? Wäre dies, so kann man in rei-
nem Deutsch doch Lateinisch denken, seinen
Vortrag doch nach dieser Sprache modeln,
und also noch immer Gefahr laufen, Worte
statt Sachen, Lehren statt Wahrheiten,
Kathederwissenschaft
statt Weisheit, und
Ausdruck statt Gedanken, auf gute Treu
und Glauben zu verkaufen.

Unsere Wissenschaften wachsen sämtlich und
besonders nicht auf unserm Grund und Bo-
den: Jahrhunderte durch sind ihre Wurzeln
in die Abgründe und Adern der lateinischen
Sprache verwachsen: wir müssen die Denk-
mäler der Weltweisheit in ihr studiren, unsere
Gelehrsamkeit weit und breit zusammenholen:
und nun begeben wir uns zu schreiben - Es
sey eine Sprache, welche es wolle, wir wer-
den etwas von diesem Zwange in sie bringen.
Wer kann es also einem gelehrten und sehr
verdienten Gottesgelehrten, wenn man nicht

selbst
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Hievon rede ich nicht; ſondern frage: ob
dieſe Sprache auch uͤber Begriffe, uͤber
Reihen von Wahrheiten, uͤber Beweiſe,
uͤber Eintheilungen und Unterſchiede, ja
gar uͤber Methode und Denkart eine Zauber-
kraft habe? Waͤre dies, ſo kann man in rei-
nem Deutſch doch Lateiniſch denken, ſeinen
Vortrag doch nach dieſer Sprache modeln,
und alſo noch immer Gefahr laufen, Worte
ſtatt Sachen, Lehren ſtatt Wahrheiten,
Kathederwiſſenſchaft
ſtatt Weisheit, und
Ausdruck ſtatt Gedanken, auf gute Treu
und Glauben zu verkaufen.

Unſere Wiſſenſchaften wachſen ſaͤmtlich und
beſonders nicht auf unſerm Grund und Bo-
den: Jahrhunderte durch ſind ihre Wurzeln
in die Abgruͤnde und Adern der lateiniſchen
Sprache verwachſen: wir muͤſſen die Denk-
maͤler der Weltweisheit in ihr ſtudiren, unſere
Gelehrſamkeit weit und breit zuſammenholen:
und nun begeben wir uns zu ſchreiben – Es
ſey eine Sprache, welche es wolle, wir wer-
den etwas von dieſem Zwange in ſie bringen.
Wer kann es alſo einem gelehrten und ſehr
verdienten Gottesgelehrten, wenn man nicht

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[119/0127] Hievon rede ich nicht; ſondern frage: ob dieſe Sprache auch uͤber Begriffe, uͤber Reihen von Wahrheiten, uͤber Beweiſe, uͤber Eintheilungen und Unterſchiede, ja gar uͤber Methode und Denkart eine Zauber- kraft habe? Waͤre dies, ſo kann man in rei- nem Deutſch doch Lateiniſch denken, ſeinen Vortrag doch nach dieſer Sprache modeln, und alſo noch immer Gefahr laufen, Worte ſtatt Sachen, Lehren ſtatt Wahrheiten, Kathederwiſſenſchaft ſtatt Weisheit, und Ausdruck ſtatt Gedanken, auf gute Treu und Glauben zu verkaufen. Unſere Wiſſenſchaften wachſen ſaͤmtlich und beſonders nicht auf unſerm Grund und Bo- den: Jahrhunderte durch ſind ihre Wurzeln in die Abgruͤnde und Adern der lateiniſchen Sprache verwachſen: wir muͤſſen die Denk- maͤler der Weltweisheit in ihr ſtudiren, unſere Gelehrſamkeit weit und breit zuſammenholen: und nun begeben wir uns zu ſchreiben – Es ſey eine Sprache, welche es wolle, wir wer- den etwas von dieſem Zwange in ſie bringen. Wer kann es alſo einem gelehrten und ſehr verdienten Gottesgelehrten, wenn man nicht ſelbſt H 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/127>, abgerufen am 21.11.2024.