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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Wenn die Dichtkunst für den Verstand
redet, durch die Fabel, von der Aesop der
Urheber ist: so kann ja die Mythologie han-
delnde Subjekte
liefern, die uns in einem
einzelnen Fall, der als würklich vorgestel-
let wird, einen gewissen allgemeinen Satz
anschauend erkennen
lassen: und warum
sollte sie nicht die Quelle mancher Fabeln
seyn können. Wenn man einige Geschichten
aus Bacons Weisheit der Alten von der
gar zu vielen Kunst entkleidete, die er tief-
sinnig in sie legte -- wenn man sie aus der
Demmerung der Allegorie, in der sie bei
ihm stehen, mit dem Licht einer Geschichte
völlig bekleidete: so würden doch wohl einige
so schöne Fabeln daraus, als Leßings 5te im
Isten Buche, seine 10te 18te 23ste 28ste im
zweiten: und diese so schöne Fabeln will mir
der Kunstrichter rauben, die unter den Les-
singschen
gewiß zu den besten gehören? wie
viele werden wir aus Gellert, Gleim, Hage-
dorn, Lichtwehr verlieren? Hier sind ja die
mythologischen Personen nicht leere Schälle,
sondern handelnde Wesen, nicht bloße Na-
men, sondern Wesen von einem beständigen

Chara-

Wenn die Dichtkunſt fuͤr den Verſtand
redet, durch die Fabel, von der Aeſop der
Urheber iſt: ſo kann ja die Mythologie han-
delnde Subjekte
liefern, die uns in einem
einzelnen Fall, der als wuͤrklich vorgeſtel-
let wird, einen gewiſſen allgemeinen Satz
anſchauend erkennen
laſſen: und warum
ſollte ſie nicht die Quelle mancher Fabeln
ſeyn koͤnnen. Wenn man einige Geſchichten
aus Bacons Weisheit der Alten von der
gar zu vielen Kunſt entkleidete, die er tief-
ſinnig in ſie legte — wenn man ſie aus der
Demmerung der Allegorie, in der ſie bei
ihm ſtehen, mit dem Licht einer Geſchichte
voͤllig bekleidete: ſo wuͤrden doch wohl einige
ſo ſchoͤne Fabeln daraus, als Leßings 5te im
Iſten Buche, ſeine 10te 18te 23ſte 28ſte im
zweiten: und dieſe ſo ſchoͤne Fabeln will mir
der Kunſtrichter rauben, die unter den Leſ-
ſingſchen
gewiß zu den beſten gehoͤren? wie
viele werden wir aus Gellert, Gleim, Hage-
dorn, Lichtwehr verlieren? Hier ſind ja die
mythologiſchen Perſonen nicht leere Schaͤlle,
ſondern handelnde Weſen, nicht bloße Na-
men, ſondern Weſen von einem beſtaͤndigen

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[139/0147] Wenn die Dichtkunſt fuͤr den Verſtand redet, durch die Fabel, von der Aeſop der Urheber iſt: ſo kann ja die Mythologie han- delnde Subjekte liefern, die uns in einem einzelnen Fall, der als wuͤrklich vorgeſtel- let wird, einen gewiſſen allgemeinen Satz anſchauend erkennen laſſen: und warum ſollte ſie nicht die Quelle mancher Fabeln ſeyn koͤnnen. Wenn man einige Geſchichten aus Bacons Weisheit der Alten von der gar zu vielen Kunſt entkleidete, die er tief- ſinnig in ſie legte — wenn man ſie aus der Demmerung der Allegorie, in der ſie bei ihm ſtehen, mit dem Licht einer Geſchichte voͤllig bekleidete: ſo wuͤrden doch wohl einige ſo ſchoͤne Fabeln daraus, als Leßings 5te im Iſten Buche, ſeine 10te 18te 23ſte 28ſte im zweiten: und dieſe ſo ſchoͤne Fabeln will mir der Kunſtrichter rauben, die unter den Leſ- ſingſchen gewiß zu den beſten gehoͤren? wie viele werden wir aus Gellert, Gleim, Hage- dorn, Lichtwehr verlieren? Hier ſind ja die mythologiſchen Perſonen nicht leere Schaͤlle, ſondern handelnde Weſen, nicht bloße Na- men, ſondern Weſen von einem beſtaͤndigen Chara-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/147>, abgerufen am 09.11.2024.