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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Wenn die Dichtkunst für Vernunft redet:
so ist das Ganze ihres Jnhalts Wahrheit:
was sie dazu thut, sind blos kleine Auszie-
rungen, und Schnitzwerk: das Allgemeine
ist ihrem Gebiet gleichsam entnommen. Da
ich unsre geistliche Gedichte gleich ausgeschlos-
sen: so bleiben mir hier philosophische Lehr-
gedichte
übrig; in diesen kann nie die My-
thologie mehr als Schmuck und Erläute-
rung
seyn, ohne zur Bildung des Ganzen
was beitragen zu wollen. Allein, in dem an-
gezeigten engen Gesichtspunkte, wer wollte
sie ausschließen? Wird sie blos zu verdun-
kelnden Anspielungen angewandt; so ist sie
verwerflich -- aber zu Beispielen, zu
Vergleichungen, zu einzelnen Bildern,
da betrachte ich sie auf dem Rande der Ge-
schichte,
als eine Quelle von poetischen
Exempeln:
(würde ich historische Wahrheit
immer verlangen; so könnte ich ja auch we-
nig aus der alten Geschichte, die immer
halb Fabel ist, anführen,) prächtigen Farben,
und redenden Bildern: und hier lasse ich sie
mir nicht nehmen.

Wenn

Wenn die Dichtkunſt fuͤr Vernunft redet:
ſo iſt das Ganze ihres Jnhalts Wahrheit:
was ſie dazu thut, ſind blos kleine Auszie-
rungen, und Schnitzwerk: das Allgemeine
iſt ihrem Gebiet gleichſam entnommen. Da
ich unſre geiſtliche Gedichte gleich ausgeſchloſ-
ſen: ſo bleiben mir hier philoſophiſche Lehr-
gedichte
uͤbrig; in dieſen kann nie die My-
thologie mehr als Schmuck und Erlaͤute-
rung
ſeyn, ohne zur Bildung des Ganzen
was beitragen zu wollen. Allein, in dem an-
gezeigten engen Geſichtspunkte, wer wollte
ſie ausſchließen? Wird ſie blos zu verdun-
kelnden Anſpielungen angewandt; ſo iſt ſie
verwerflich — aber zu Beiſpielen, zu
Vergleichungen, zu einzelnen Bildern,
da betrachte ich ſie auf dem Rande der Ge-
ſchichte,
als eine Quelle von poetiſchen
Exempeln:
(wuͤrde ich hiſtoriſche Wahrheit
immer verlangen; ſo koͤnnte ich ja auch we-
nig aus der alten Geſchichte, die immer
halb Fabel iſt, anfuͤhren,) praͤchtigen Farben,
und redenden Bildern: und hier laſſe ich ſie
mir nicht nehmen.

Wenn
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[138/0146] Wenn die Dichtkunſt fuͤr Vernunft redet: ſo iſt das Ganze ihres Jnhalts Wahrheit: was ſie dazu thut, ſind blos kleine Auszie- rungen, und Schnitzwerk: das Allgemeine iſt ihrem Gebiet gleichſam entnommen. Da ich unſre geiſtliche Gedichte gleich ausgeſchloſ- ſen: ſo bleiben mir hier philoſophiſche Lehr- gedichte uͤbrig; in dieſen kann nie die My- thologie mehr als Schmuck und Erlaͤute- rung ſeyn, ohne zur Bildung des Ganzen was beitragen zu wollen. Allein, in dem an- gezeigten engen Geſichtspunkte, wer wollte ſie ausſchließen? Wird ſie blos zu verdun- kelnden Anſpielungen angewandt; ſo iſt ſie verwerflich — aber zu Beiſpielen, zu Vergleichungen, zu einzelnen Bildern, da betrachte ich ſie auf dem Rande der Ge- ſchichte, als eine Quelle von poetiſchen Exempeln: (wuͤrde ich hiſtoriſche Wahrheit immer verlangen; ſo koͤnnte ich ja auch we- nig aus der alten Geſchichte, die immer halb Fabel iſt, anfuͤhren,) praͤchtigen Farben, und redenden Bildern: und hier laſſe ich ſie mir nicht nehmen. Wenn

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/146>, abgerufen am 21.11.2024.