Man vermeide bei der Mythologie alles, was gleichsam leblose Schönheit ist: wohin die topographischen Beschreibungen gehören, die unsern Dichtern oft an unrechtem Ort so heilig sind, wenn sie von Mäandrischen Krümmungen, von Skamander, und der Tiber, vom Helikon und Pindus, dem Casta- lischen Brunnen und der Hypokrene, dem Dädalischen Labyrinthe u. s. w. blos gelehrt, und wie sie meinen, poetisch zu reden, ohne einen geistigen Sinn diesen anderthalb Schuh langen Worten zu geben.
Man vermeide allen Uebelstand, und hüte sich vor Maschinen, denen die Veränderung der Zeit und Denkart gleichsam Flecken und verkleinernde Nebenbegriffe angehänget. Wenn man Helden unsrer Zeit, die mehr durch den Geist, als Körper, Helden sind, immer und immer mit jenen Giganten und Herkuls ver- gleicht, alsdenn Beschreibungen aus den Alten häuft, und für ekle Ohren nicht gnug die Ne- benbegriffe des alten Pöbelhaften entfernt: so kann man sich freilich mit der Ode des Horaz an seinen Drusus schüzzen; aber wenn man sich blos schüzzt, erobert man nicht.
Wenn
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Man vermeide bei der Mythologie alles, was gleichſam lebloſe Schoͤnheit iſt: wohin die topographiſchen Beſchreibungen gehoͤren, die unſern Dichtern oft an unrechtem Ort ſo heilig ſind, wenn ſie von Maͤandriſchen Kruͤmmungen, von Skamander, und der Tiber, vom Helikon und Pindus, dem Caſta- liſchen Brunnen und der Hypokrene, dem Daͤdaliſchen Labyrinthe u. ſ. w. blos gelehrt, und wie ſie meinen, poetiſch zu reden, ohne einen geiſtigen Sinn dieſen anderthalb Schuh langen Worten zu geben.
Man vermeide allen Uebelſtand, und huͤte ſich vor Maſchinen, denen die Veraͤnderung der Zeit und Denkart gleichſam Flecken und verkleinernde Nebenbegriffe angehaͤnget. Wenn man Helden unſrer Zeit, die mehr durch den Geiſt, als Koͤrper, Helden ſind, immer und immer mit jenen Giganten und Herkuls ver- gleicht, alsdenn Beſchreibungen aus den Alten haͤuft, und fuͤr ekle Ohren nicht gnug die Ne- benbegriffe des alten Poͤbelhaften entfernt: ſo kann man ſich freilich mit der Ode des Horaz an ſeinen Druſus ſchuͤzzen; aber wenn man ſich blos ſchuͤzzt, erobert man nicht.
Wenn
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Man vermeide bei der Mythologie alles,
was gleichſam lebloſe Schoͤnheit iſt: wohin
die topographiſchen Beſchreibungen gehoͤren,
die unſern Dichtern oft an unrechtem Ort ſo
heilig ſind, wenn ſie von Maͤandriſchen
Kruͤmmungen, von Skamander, und der
Tiber, vom Helikon und Pindus, dem Caſta-
liſchen Brunnen und der Hypokrene, dem
Daͤdaliſchen Labyrinthe u. ſ. w. blos gelehrt,
und wie ſie meinen, poetiſch zu reden, ohne
einen geiſtigen Sinn dieſen anderthalb Schuh
langen Worten zu geben.
Man vermeide allen Uebelſtand, und huͤte
ſich vor Maſchinen, denen die Veraͤnderung
der Zeit und Denkart gleichſam Flecken und
verkleinernde Nebenbegriffe angehaͤnget. Wenn
man Helden unſrer Zeit, die mehr durch den
Geiſt, als Koͤrper, Helden ſind, immer und
immer mit jenen Giganten und Herkuls ver-
gleicht, alsdenn Beſchreibungen aus den Alten
haͤuft, und fuͤr ekle Ohren nicht gnug die Ne-
benbegriffe des alten Poͤbelhaften entfernt: ſo
kann man ſich freilich mit der Ode des Horaz
an ſeinen Druſus ſchuͤzzen; aber wenn man
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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