gorisiren, vom philosophischen Homer, und vom dichterischen Plato.
Kurz! als poetische Hevristik wollen wir die Mythologie der Alten studiren, um selbst Erfinder zu werden. Eine Götter- und Hel- dengeschichte in diesem Gesichtspunkt durch- arbeitet, -- einige der vornehmsten alten Schriftsteller auf diese Weise zergliedert, -- das muß poetische Genies bilden, oder nichts in der Welt. Aber wie groß muß der Mann seyn, der uns diesen Gradum ad Parnassum, dieses Cornu copiae, diese hylen inuentio- num poeticarum, diese aurifodinam my- thologicam, (oder wie die hochtrabenden Titel einiger spanischen Bettler mehr heißen) lieferte.
Da diese Erfindungskunst aber zwei Kräf- te voraussezzt, die selten beysammen sind, und oft gegen einander würken: den Reduktions- und den Fiktionsgeist: die Zergliederung des Philosophen und die Zusammensezzung des Dichters: so sind hier viele Schwierigkeiten, uns gleichsam eine ganz neue Mythologie zu schaffen. -- Aber aus der Bilderwelt der Alten gleichsam eine neue uns zu finden wis-
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goriſiren, vom philoſophiſchen Homer, und vom dichteriſchen Plato.
Kurz! als poetiſche Hevriſtik wollen wir die Mythologie der Alten ſtudiren, um ſelbſt Erfinder zu werden. Eine Goͤtter- und Hel- dengeſchichte in dieſem Geſichtspunkt durch- arbeitet, — einige der vornehmſten alten Schriftſteller auf dieſe Weiſe zergliedert, — das muß poetiſche Genies bilden, oder nichts in der Welt. Aber wie groß muß der Mann ſeyn, der uns dieſen Gradum ad Parnaſſum, dieſes Cornu copiae, dieſe hylen inuentio- num poeticarum, dieſe aurifodinam my- thologicam, (oder wie die hochtrabenden Titel einiger ſpaniſchen Bettler mehr heißen) lieferte.
Da dieſe Erfindungskunſt aber zwei Kraͤf- te vorausſezzt, die ſelten beyſammen ſind, und oft gegen einander wuͤrken: den Reduktions- und den Fiktionsgeiſt: die Zergliederung des Philoſophen und die Zuſammenſezzung des Dichters: ſo ſind hier viele Schwierigkeiten, uns gleichſam eine ganz neue Mythologie zu ſchaffen. — Aber aus der Bilderwelt der Alten gleichſam eine neue uns zu finden wiſ-
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goriſiren, vom philoſophiſchen Homer, und
vom dichteriſchen Plato.
Kurz! als poetiſche Hevriſtik wollen wir
die Mythologie der Alten ſtudiren, um ſelbſt
Erfinder zu werden. Eine Goͤtter- und Hel-
dengeſchichte in dieſem Geſichtspunkt durch-
arbeitet, — einige der vornehmſten alten
Schriftſteller auf dieſe Weiſe zergliedert, —
das muß poetiſche Genies bilden, oder nichts
in der Welt. Aber wie groß muß der Mann
ſeyn, der uns dieſen Gradum ad Parnaſſum,
dieſes Cornu copiae, dieſe hylen inuentio-
num poeticarum, dieſe aurifodinam my-
thologicam, (oder wie die hochtrabenden
Titel einiger ſpaniſchen Bettler mehr heißen)
lieferte.
Da dieſe Erfindungskunſt aber zwei Kraͤf-
te vorausſezzt, die ſelten beyſammen ſind, und
oft gegen einander wuͤrken: den Reduktions-
und den Fiktionsgeiſt: die Zergliederung des
Philoſophen und die Zuſammenſezzung des
Dichters: ſo ſind hier viele Schwierigkeiten,
uns gleichſam eine ganz neue Mythologie zu
ſchaffen. — Aber aus der Bilderwelt der
Alten gleichſam eine neue uns zu finden wiſ-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/166>, abgerufen am 24.11.2024.
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