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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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entgegenzuführen. Besonders weiß sie ei-
nen horazischen Odenplan so geschickt auf ei-
nen neuern Vorfall zurückzuführen, daß sich
seine Wendungen, Bilder, und Ausdrücke,
genau auf denselben anpassen. Und denn ist
auch der feine Wohlklang und die genaue
Versifikation der äußere Schmuck, der
Rammler zu einem deutschen Horaz macht.

Fiktionen machen das schönste Ganze der
Ode, und der reichste Quell zu diesen Fiktio-
nen ist ohnstreitig das Alterthum. Das
Alterthum ist voll von poetischen Erdichtun-
gen, Bildern und Farben; wer diese mit
einer Meisterhand zu brauchen weiß, macht
seinen Gegenstand dadurch neu, ehrwürdig,
und sinnlich, und wie hoch steht eine Ode,
die dies thun kann. Daher haben die grösten
Genies aus diesem Quell der Musen, der
Allegorie, wenn ich dies Wort im weitesten
Verstande nehme, getrunken: die kleinen
Geister schaudern vor diesem Trank, weil
Känntniß und Geschmack des Alterthums, ja
fast ein dramatisches Genie dazu gehört.
"Die höchste poetische Kunst, sagt vielleicht

"eben

entgegenzufuͤhren. Beſonders weiß ſie ei-
nen horaziſchen Odenplan ſo geſchickt auf ei-
nen neuern Vorfall zuruͤckzufuͤhren, daß ſich
ſeine Wendungen, Bilder, und Ausdruͤcke,
genau auf denſelben anpaſſen. Und denn iſt
auch der feine Wohlklang und die genaue
Verſifikation der aͤußere Schmuck, der
Rammler zu einem deutſchen Horaz macht.

Fiktionen machen das ſchoͤnſte Ganze der
Ode, und der reichſte Quell zu dieſen Fiktio-
nen iſt ohnſtreitig das Alterthum. Das
Alterthum iſt voll von poetiſchen Erdichtun-
gen, Bildern und Farben; wer dieſe mit
einer Meiſterhand zu brauchen weiß, macht
ſeinen Gegenſtand dadurch neu, ehrwuͤrdig,
und ſinnlich, und wie hoch ſteht eine Ode,
die dies thun kann. Daher haben die groͤſten
Genies aus dieſem Quell der Muſen, der
Allegorie, wenn ich dies Wort im weiteſten
Verſtande nehme, getrunken: die kleinen
Geiſter ſchaudern vor dieſem Trank, weil
Kaͤnntniß und Geſchmack des Alterthums, ja
faſt ein dramatiſches Genie dazu gehoͤrt.
„Die hoͤchſte poetiſche Kunſt, ſagt vielleicht

„eben
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[172/0180] entgegenzufuͤhren. Beſonders weiß ſie ei- nen horaziſchen Odenplan ſo geſchickt auf ei- nen neuern Vorfall zuruͤckzufuͤhren, daß ſich ſeine Wendungen, Bilder, und Ausdruͤcke, genau auf denſelben anpaſſen. Und denn iſt auch der feine Wohlklang und die genaue Verſifikation der aͤußere Schmuck, der Rammler zu einem deutſchen Horaz macht. Fiktionen machen das ſchoͤnſte Ganze der Ode, und der reichſte Quell zu dieſen Fiktio- nen iſt ohnſtreitig das Alterthum. Das Alterthum iſt voll von poetiſchen Erdichtun- gen, Bildern und Farben; wer dieſe mit einer Meiſterhand zu brauchen weiß, macht ſeinen Gegenſtand dadurch neu, ehrwuͤrdig, und ſinnlich, und wie hoch ſteht eine Ode, die dies thun kann. Daher haben die groͤſten Genies aus dieſem Quell der Muſen, der Allegorie, wenn ich dies Wort im weiteſten Verſtande nehme, getrunken: die kleinen Geiſter ſchaudern vor dieſem Trank, weil Kaͤnntniß und Geſchmack des Alterthums, ja faſt ein dramatiſches Genie dazu gehoͤrt. „Die hoͤchſte poetiſche Kunſt, ſagt vielleicht „eben

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/180>, abgerufen am 21.11.2024.