"laubt ihm zu schwärmen, wo er den kürze- "sten Weg nehmen sollte: sie verbindet Ge- "danken, die eine allzugeringe Beziehung auf "einander haben, und bringt also Poetische "Phantasien hervor, aber keine Oden."
Dies Fragment einer kritischen Betrach- tung über die Ode bringt mir den Wunsch in die Feder, daß endlich ein philosophischer Kopf eine vollständige Theorie von der Ode liefere, die unter den schon gelieferten Beiträ- gen zur angewandten Aesthetik uns noch am meisten fehlt. Denn da Aristoteles Poetik in diesem Theil verlohren gegangen: so ha- ben sich wenige an eine Arbeit wagen wollen, in der ihnen niemand unter den Alten vorge- arbeitet hat, und die Wenigen, die sich dar- an gewagt, wiegen zusammen nicht so viel, als der einzige Aristoteles wiegen würde. Die Poetikenschreiber -- die schönen Geister unter den Franzosen, La Motte, St. Mard, Batteux, Racine, Fontenelle, und noch neuerlich Marmontel und Garnier -- un- ter den Deutschen, die Abhandlung in den Breslauischen Beiträgen zur Philosophie mit ihrer Recension in der Allgem. Bibl.,
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„laubt ihm zu ſchwaͤrmen, wo er den kuͤrze- „ſten Weg nehmen ſollte: ſie verbindet Ge- „danken, die eine allzugeringe Beziehung auf „einander haben, und bringt alſo Poetiſche „Phantaſien hervor, aber keine Oden.„
Dies Fragment einer kritiſchen Betrach- tung uͤber die Ode bringt mir den Wunſch in die Feder, daß endlich ein philoſophiſcher Kopf eine vollſtaͤndige Theorie von der Ode liefere, die unter den ſchon gelieferten Beitraͤ- gen zur angewandten Aeſthetik uns noch am meiſten fehlt. Denn da Ariſtoteles Poetik in dieſem Theil verlohren gegangen: ſo ha- ben ſich wenige an eine Arbeit wagen wollen, in der ihnen niemand unter den Alten vorge- arbeitet hat, und die Wenigen, die ſich dar- an gewagt, wiegen zuſammen nicht ſo viel, als der einzige Ariſtoteles wiegen wuͤrde. Die Poetikenſchreiber — die ſchoͤnen Geiſter unter den Franzoſen, La Motte, St. Mard, Batteux, Racine, Fontenelle, und noch neuerlich Marmontel und Garnier — un- ter den Deutſchen, die Abhandlung in den Breslauiſchen Beitraͤgen zur Philoſophie mit ihrer Recenſion in der Allgem. Bibl.,
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„laubt ihm zu ſchwaͤrmen, wo er den kuͤrze-
„ſten Weg nehmen ſollte: ſie verbindet Ge-
„danken, die eine allzugeringe Beziehung auf
„einander haben, und bringt alſo Poetiſche
„Phantaſien hervor, aber keine Oden.„
Dies Fragment einer kritiſchen Betrach-
tung uͤber die Ode bringt mir den Wunſch
in die Feder, daß endlich ein philoſophiſcher
Kopf eine vollſtaͤndige Theorie von der Ode
liefere, die unter den ſchon gelieferten Beitraͤ-
gen zur angewandten Aeſthetik uns noch am
meiſten fehlt. Denn da Ariſtoteles Poetik
in dieſem Theil verlohren gegangen: ſo ha-
ben ſich wenige an eine Arbeit wagen wollen,
in der ihnen niemand unter den Alten vorge-
arbeitet hat, und die Wenigen, die ſich dar-
an gewagt, wiegen zuſammen nicht ſo viel,
als der einzige Ariſtoteles wiegen wuͤrde.
Die Poetikenſchreiber — die ſchoͤnen Geiſter
unter den Franzoſen, La Motte, St. Mard,
Batteux, Racine, Fontenelle, und noch
neuerlich Marmontel und Garnier — un-
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Breslauiſchen Beitraͤgen zur Philoſophie
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/205>, abgerufen am 16.02.2025.
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