bearbeitet, unterscheidet sie von den übrigen Arten. Jch habe dazu die vermischten Em- pfindungen* angegeben; und glaube, so viel ich jetzt sehe, Recht zu haben. Die reinen, oder richtiger, die merklich reinen Empfin- dungen der Lust, gehören, so wie ihr Gegen- theil, wenn sie die Seele nicht ganz überman- net, und ihr zum Ausdruck gleichsam den Athem benommen haben, für die Ode. Alle Arten der Empfindungen und Handlungen, die in einem Gesellschaftlichen, das weder Zwang noch Verbrechen kennet, entstehen, ge- hören für das Schäfergedicht; wenn die ele- gischen Dichter sich hieran erinnert hätten: so würden sie einem der gewöhnlichsten Vor- würfe, daß sie nehmlich unnatürlich werden, entgangen seyn. Allerdings ist es widersin- nisch, bei einem großen Schmerzen sich ge- schwätzig zu zeigen. Wenn dieser die Seele auf einmal an allen Orten angreift, wenn ihre Kräfte durch den plötzlichen Anstoß nie- dergerissen werden, und der Schmerz sie also
gleich
* Von denen man in der Rhapsodie des Verf. der Phil. Schr. Th. 2. scharssinnige Gedan- ken findet.
bearbeitet, unterſcheidet ſie von den uͤbrigen Arten. Jch habe dazu die vermiſchten Em- pfindungen* angegeben; und glaube, ſo viel ich jetzt ſehe, Recht zu haben. Die reinen, oder richtiger, die merklich reinen Empfin- dungen der Luſt, gehoͤren, ſo wie ihr Gegen- theil, wenn ſie die Seele nicht ganz uͤberman- net, und ihr zum Ausdruck gleichſam den Athem benommen haben, fuͤr die Ode. Alle Arten der Empfindungen und Handlungen, die in einem Geſellſchaftlichen, das weder Zwang noch Verbrechen kennet, entſtehen, ge- hoͤren fuͤr das Schaͤfergedicht; wenn die ele- giſchen Dichter ſich hieran erinnert haͤtten: ſo wuͤrden ſie einem der gewoͤhnlichſten Vor- wuͤrfe, daß ſie nehmlich unnatuͤrlich werden, entgangen ſeyn. Allerdings iſt es widerſin- niſch, bei einem großen Schmerzen ſich ge- ſchwaͤtzig zu zeigen. Wenn dieſer die Seele auf einmal an allen Orten angreift, wenn ihre Kraͤfte durch den ploͤtzlichen Anſtoß nie- dergeriſſen werden, und der Schmerz ſie alſo
gleich
* Von denen man in der Rhapſodie des Verf. der Phil. Schr. Th. 2. ſcharſſinnige Gedan- ken findet.
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bearbeitet, unterſcheidet ſie von den uͤbrigen
Arten. Jch habe dazu die vermiſchten Em-
pfindungen * angegeben; und glaube, ſo viel
ich jetzt ſehe, Recht zu haben. Die reinen,
oder richtiger, die merklich reinen Empfin-
dungen der Luſt, gehoͤren, ſo wie ihr Gegen-
theil, wenn ſie die Seele nicht ganz uͤberman-
net, und ihr zum Ausdruck gleichſam den
Athem benommen haben, fuͤr die Ode. Alle
Arten der Empfindungen und Handlungen,
die in einem Geſellſchaftlichen, das weder
Zwang noch Verbrechen kennet, entſtehen, ge-
hoͤren fuͤr das Schaͤfergedicht; wenn die ele-
giſchen Dichter ſich hieran erinnert haͤtten:
ſo wuͤrden ſie einem der gewoͤhnlichſten Vor-
wuͤrfe, daß ſie nehmlich unnatuͤrlich werden,
entgangen ſeyn. Allerdings iſt es widerſin-
niſch, bei einem großen Schmerzen ſich ge-
ſchwaͤtzig zu zeigen. Wenn dieſer die Seele
auf einmal an allen Orten angreift, wenn
ihre Kraͤfte durch den ploͤtzlichen Anſtoß nie-
dergeriſſen werden, und der Schmerz ſie alſo
gleich
* Von denen man in der Rhapſodie des Verf.
der Phil. Schr. Th. 2. ſcharſſinnige Gedan-
ken findet.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/231>, abgerufen am 21.11.2024.
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