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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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"ich merken, daß der Mann vom Herzen weg
"redet, und daß er bei allem Eifer, den er
"hatte, doch Beurtheilungskraft gnug beses-
"sen hat, mir unter den verschiedenen Origi-
"nalen nur die wichtigsten, und an diesen nur
"das Merkwürdigste zu schildern.

"Mittelmäßige Köpfe fallen immer zuerst
"auf das, wovon sie bei sich empfinden, daß
"sie es vielleicht erreichen könnten. Allein,
"weil es doch eine gefährliche Sache ist, Nar-
"ren und Bösewichter kenntlich zu schildern:
"so vermeiden sie diese Gefahr, und machen,
"daß das ganze Stück nichts taugt. Sie
"mahlen uns platte Karaktere, die ekelhaft
"sind, und an denen man weder genaue Zeich-
"nung, noch das lebhafte Colorit eines Ju-
"venals
findet. Beispiele davon können uns
"in unsern unzählbaren Wochenschriften nicht
"mangeln. -- Unter den Franzosen ist viel-
"leicht der einzige La Bruyere, der den Aus-
"weg eines Genies gefunden hat. Er hat sei-
"ne Zeichnungen übertrieben, um sie nicht
"kenntlich zu machen. Aber für seine Zeit-
"genossen waren doch die Züge nicht verstellt,

"und

„ich merken, daß der Mann vom Herzen weg
„redet, und daß er bei allem Eifer, den er
„hatte, doch Beurtheilungskraft gnug beſeſ-
„ſen hat, mir unter den verſchiedenen Origi-
„nalen nur die wichtigſten, und an dieſen nur
„das Merkwuͤrdigſte zu ſchildern.

„Mittelmaͤßige Koͤpfe fallen immer zuerſt
„auf das, wovon ſie bei ſich empfinden, daß
„ſie es vielleicht erreichen koͤnnten. Allein,
„weil es doch eine gefaͤhrliche Sache iſt, Nar-
„ren und Boͤſewichter kenntlich zu ſchildern:
„ſo vermeiden ſie dieſe Gefahr, und machen,
„daß das ganze Stuͤck nichts taugt. Sie
„mahlen uns platte Karaktere, die ekelhaft
„ſind, und an denen man weder genaue Zeich-
„nung, noch das lebhafte Colorit eines Ju-
„venals
findet. Beiſpiele davon koͤnnen uns
„in unſern unzaͤhlbaren Wochenſchriften nicht
„mangeln. — Unter den Franzoſen iſt viel-
„leicht der einzige La Bruyere, der den Aus-
„weg eines Genies gefunden hat. Er hat ſei-
„ne Zeichnungen uͤbertrieben, um ſie nicht
„kenntlich zu machen. Aber fuͤr ſeine Zeit-
„genoſſen waren doch die Zuͤge nicht verſtellt,

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[254/0262] „ich merken, daß der Mann vom Herzen weg „redet, und daß er bei allem Eifer, den er „hatte, doch Beurtheilungskraft gnug beſeſ- „ſen hat, mir unter den verſchiedenen Origi- „nalen nur die wichtigſten, und an dieſen nur „das Merkwuͤrdigſte zu ſchildern. „Mittelmaͤßige Koͤpfe fallen immer zuerſt „auf das, wovon ſie bei ſich empfinden, daß „ſie es vielleicht erreichen koͤnnten. Allein, „weil es doch eine gefaͤhrliche Sache iſt, Nar- „ren und Boͤſewichter kenntlich zu ſchildern: „ſo vermeiden ſie dieſe Gefahr, und machen, „daß das ganze Stuͤck nichts taugt. Sie „mahlen uns platte Karaktere, die ekelhaft „ſind, und an denen man weder genaue Zeich- „nung, noch das lebhafte Colorit eines Ju- „venals findet. Beiſpiele davon koͤnnen uns „in unſern unzaͤhlbaren Wochenſchriften nicht „mangeln. — Unter den Franzoſen iſt viel- „leicht der einzige La Bruyere, der den Aus- „weg eines Genies gefunden hat. Er hat ſei- „ne Zeichnungen uͤbertrieben, um ſie nicht „kenntlich zu machen. Aber fuͤr ſeine Zeit- „genoſſen waren doch die Zuͤge nicht verſtellt, „und

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/262>, abgerufen am 21.11.2024.