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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Sollte Juvenal Sitten dergestalt in seine
Satyre bringen, daß blos die Namen verän-
dert sind: so daß nur Aufmerksamkeit auf
das menschliche Leben, ein Eifer, der vom Her-
zen weg spricht, und Beurtheilungskraft,
das Wichtigste und Merkwürdigste zu schil-
dern, die Talente zur Juvenalschen Satyre
wären?

Wäre Juvenals Charakter, daß er Nar-
ren und Bösewichter kenntlich schildert; und
er würde nicht bei diesem Känntlichen ein
Pasquillant? Sollte er von den schlechten
Charakterschmierern unsrer Wochenblätter
blos durch Genauigkeit und Kolorit unter-
schieden seyn? Eine Satyre, die das Kännt-
liche,
das Genaue zu ihrem Hauptzuge hat,
verdient die den Rang, den doch Juvenal mit
Recht fodert?

"Die horazische Methode in der Satyre-
"mit dem Talente muß man gebohren seyn!"
Muß denn das Juvenalsche Talent nicht an-
gebohren seyn? -- Sobald man das kindische
Vorurtheil ablegt, die Einkleidung sey das
vornehmste in der Satyre, so kömmt Juve-
nal
an Genie zur Satyre, immer über Horaz.

"Juve-
R 2

Sollte Juvenal Sitten dergeſtalt in ſeine
Satyre bringen, daß blos die Namen veraͤn-
dert ſind: ſo daß nur Aufmerkſamkeit auf
das menſchliche Leben, ein Eifer, der vom Her-
zen weg ſpricht, und Beurtheilungskraft,
das Wichtigſte und Merkwuͤrdigſte zu ſchil-
dern, die Talente zur Juvenalſchen Satyre
waͤren?

Waͤre Juvenals Charakter, daß er Nar-
ren und Boͤſewichter kenntlich ſchildert; und
er wuͤrde nicht bei dieſem Kaͤnntlichen ein
Paſquillant? Sollte er von den ſchlechten
Charakterſchmierern unſrer Wochenblaͤtter
blos durch Genauigkeit und Kolorit unter-
ſchieden ſeyn? Eine Satyre, die das Kaͤnnt-
liche,
das Genaue zu ihrem Hauptzuge hat,
verdient die den Rang, den doch Juvenal mit
Recht fodert?

„Die horaziſche Methode in der Satyre-
„mit dem Talente muß man gebohren ſeyn!„
Muß denn das Juvenalſche Talent nicht an-
gebohren ſeyn? — Sobald man das kindiſche
Vorurtheil ablegt, die Einkleidung ſey das
vornehmſte in der Satyre, ſo koͤmmt Juve-
nal
an Genie zur Satyre, immer uͤber Horaz.

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R 2
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[259/0267] Sollte Juvenal Sitten dergeſtalt in ſeine Satyre bringen, daß blos die Namen veraͤn- dert ſind: ſo daß nur Aufmerkſamkeit auf das menſchliche Leben, ein Eifer, der vom Her- zen weg ſpricht, und Beurtheilungskraft, das Wichtigſte und Merkwuͤrdigſte zu ſchil- dern, die Talente zur Juvenalſchen Satyre waͤren? Waͤre Juvenals Charakter, daß er Nar- ren und Boͤſewichter kenntlich ſchildert; und er wuͤrde nicht bei dieſem Kaͤnntlichen ein Paſquillant? Sollte er von den ſchlechten Charakterſchmierern unſrer Wochenblaͤtter blos durch Genauigkeit und Kolorit unter- ſchieden ſeyn? Eine Satyre, die das Kaͤnnt- liche, das Genaue zu ihrem Hauptzuge hat, verdient die den Rang, den doch Juvenal mit Recht fodert? „Die horaziſche Methode in der Satyre- „mit dem Talente muß man gebohren ſeyn!„ Muß denn das Juvenalſche Talent nicht an- gebohren ſeyn? — Sobald man das kindiſche Vorurtheil ablegt, die Einkleidung ſey das vornehmſte in der Satyre, ſo koͤmmt Juve- nal an Genie zur Satyre, immer uͤber Horaz. „Juve- R 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/267>, abgerufen am 21.11.2024.