Erst müssen wir Beredsamkeit und Wohl- "redenheit unterscheiden, und mit dem Ci- "cero bei der erstern diejenige, welche in der "Feldschlacht gegen die bloßen Schwerter an- "rückt, quae in acie versatur et ferro, von "der absondern, die nur auf der Uebungs- "bahn sich zeiget. Die erste mangelt uns, "und wir können keinen Redner haben, den "wir mit Cicero oder Demosthenes messen "könnten.
"Wir haben keine politische Beredsam- "keit; nicht einen Schatten davon, und kön- "nen sie auch nicht haben, weil unsre Staats- "verfassungen gar nicht dazu eingerichtet sind- "Wo ist das Volk? Wo sind die versammle- "ten Provinzen? Wo sind die angeklagten "Feldherren und Fürsten? wo ist öffentliche "Berathschlagung über Krieg und Frieden? "Jn unsern Verfassungen bezahlt das Volk "seine Abgaben, und wird über den Gebrauch
der-
* Dies ganze Fragment ist aus den Litt. Br. Th. 13. p. 106.
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5. Haben wir deutſche Ciceronen*?
Erſt muͤſſen wir Beredſamkeit und Wohl- „redenheit unterſcheiden, und mit dem Ci- „cero bei der erſtern diejenige, welche in der „Feldſchlacht gegen die bloßen Schwerter an- „ruͤckt, quae in acie verſatur et ferro, von „der abſondern, die nur auf der Uebungs- „bahn ſich zeiget. Die erſte mangelt uns, „und wir koͤnnen keinen Redner haben, den „wir mit Cicero oder Demoſthenes meſſen „koͤnnten.
„Wir haben keine politiſche Beredſam- „keit; nicht einen Schatten davon, und koͤn- „nen ſie auch nicht haben, weil unſre Staats- „verfaſſungen gar nicht dazu eingerichtet ſind- „Wo iſt das Volk? Wo ſind die verſammle- „ten Provinzen? Wo ſind die angeklagten „Feldherren und Fuͤrſten? wo iſt oͤffentliche „Berathſchlagung uͤber Krieg und Frieden? „Jn unſern Verfaſſungen bezahlt das Volk „ſeine Abgaben, und wird uͤber den Gebrauch
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* Dies ganze Fragment iſt aus den Litt. Br. Th. 13. p. 106.
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5.
Haben wir deutſche Ciceronen *?
Erſt muͤſſen wir Beredſamkeit und Wohl-
„redenheit unterſcheiden, und mit dem Ci-
„cero bei der erſtern diejenige, welche in der
„Feldſchlacht gegen die bloßen Schwerter an-
„ruͤckt, quae in acie verſatur et ferro, von
„der abſondern, die nur auf der Uebungs-
„bahn ſich zeiget. Die erſte mangelt uns,
„und wir koͤnnen keinen Redner haben, den
„wir mit Cicero oder Demoſthenes meſſen
„koͤnnten.
„Wir haben keine politiſche Beredſam-
„keit; nicht einen Schatten davon, und koͤn-
„nen ſie auch nicht haben, weil unſre Staats-
„verfaſſungen gar nicht dazu eingerichtet ſind-
„Wo iſt das Volk? Wo ſind die verſammle-
„ten Provinzen? Wo ſind die angeklagten
„Feldherren und Fuͤrſten? wo iſt oͤffentliche
„Berathſchlagung uͤber Krieg und Frieden?
„Jn unſern Verfaſſungen bezahlt das Volk
„ſeine Abgaben, und wird uͤber den Gebrauch
der-
* Dies ganze Fragment iſt aus den Litt. Br.
Th. 13. p. 106.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/271>, abgerufen am 26.06.2024.
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