Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
5.
Haben wir deutsche Ciceronen*?

Erst müssen wir Beredsamkeit und Wohl-
"redenheit
unterscheiden, und mit dem Ci-
"cero
bei der erstern diejenige, welche in der
"Feldschlacht gegen die bloßen Schwerter an-
"rückt, quae in acie versatur et ferro, von
"der absondern, die nur auf der Uebungs-
"bahn sich zeiget. Die erste mangelt uns,
"und wir können keinen Redner haben, den
"wir mit Cicero oder Demosthenes messen
"könnten.

"Wir haben keine politische Beredsam-
"keit;
nicht einen Schatten davon, und kön-
"nen sie auch nicht haben, weil unsre Staats-
"verfassungen gar nicht dazu eingerichtet sind-
"Wo ist das Volk? Wo sind die versammle-
"ten Provinzen? Wo sind die angeklagten
"Feldherren und Fürsten? wo ist öffentliche
"Berathschlagung über Krieg und Frieden?
"Jn unsern Verfassungen bezahlt das Volk
"seine Abgaben, und wird über den Gebrauch

der-
* Dies ganze Fragment ist aus den Litt. Br.
Th. 13. p. 106.
R 4
5.
Haben wir deutſche Ciceronen*?

Erſt muͤſſen wir Beredſamkeit und Wohl-
„redenheit
unterſcheiden, und mit dem Ci-
„cero
bei der erſtern diejenige, welche in der
„Feldſchlacht gegen die bloßen Schwerter an-
„ruͤckt, quae in acie verſatur et ferro, von
„der abſondern, die nur auf der Uebungs-
„bahn ſich zeiget. Die erſte mangelt uns,
„und wir koͤnnen keinen Redner haben, den
„wir mit Cicero oder Demoſthenes meſſen
„koͤnnten.

„Wir haben keine politiſche Beredſam-
„keit;
nicht einen Schatten davon, und koͤn-
„nen ſie auch nicht haben, weil unſre Staats-
„verfaſſungen gar nicht dazu eingerichtet ſind-
„Wo iſt das Volk? Wo ſind die verſammle-
„ten Provinzen? Wo ſind die angeklagten
„Feldherren und Fuͤrſten? wo iſt oͤffentliche
„Berathſchlagung uͤber Krieg und Frieden?
„Jn unſern Verfaſſungen bezahlt das Volk
„ſeine Abgaben, und wird uͤber den Gebrauch

der-
* Dies ganze Fragment iſt aus den Litt. Br.
Th. 13. p. 106.
R 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0271" n="263"/>
              <div n="5">
                <head><hi rendition="#b">5.</hi><lb/>
Haben wir deut&#x017F;che Ciceronen<note place="foot" n="*">Dies ganze Fragment i&#x017F;t aus den Litt. Br.<lb/>
Th. 13. p. 106.</note>?</head><lb/>
                <p><hi rendition="#in">E</hi>r&#x017F;t mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir <hi rendition="#fr">Bered&#x017F;amkeit</hi> und <hi rendition="#fr">Wohl-<lb/>
&#x201E;redenheit</hi> unter&#x017F;cheiden, und mit dem <hi rendition="#fr">Ci-<lb/>
&#x201E;cero</hi> bei der er&#x017F;tern diejenige, welche in der<lb/>
&#x201E;Feld&#x017F;chlacht gegen die bloßen Schwerter an-<lb/>
&#x201E;ru&#x0364;ckt, <hi rendition="#aq">quae in acie ver&#x017F;atur et ferro,</hi> von<lb/>
&#x201E;der ab&#x017F;ondern, die nur auf der Uebungs-<lb/>
&#x201E;bahn &#x017F;ich zeiget. Die er&#x017F;te mangelt uns,<lb/>
&#x201E;und wir ko&#x0364;nnen keinen Redner haben, den<lb/>
&#x201E;wir mit <hi rendition="#fr">Cicero</hi> oder <hi rendition="#fr">Demo&#x017F;thenes</hi> me&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
                <p>&#x201E;Wir haben keine <hi rendition="#fr">politi&#x017F;che Bered&#x017F;am-<lb/>
&#x201E;keit;</hi> nicht einen Schatten davon, und ko&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;nen &#x017F;ie auch nicht haben, weil un&#x017F;re Staats-<lb/>
&#x201E;verfa&#x017F;&#x017F;ungen gar nicht dazu eingerichtet &#x017F;ind-<lb/>
&#x201E;Wo i&#x017F;t das Volk? Wo &#x017F;ind die ver&#x017F;ammle-<lb/>
&#x201E;ten Provinzen? Wo &#x017F;ind die angeklagten<lb/>
&#x201E;Feldherren und Fu&#x0364;r&#x017F;ten? wo i&#x017F;t o&#x0364;ffentliche<lb/>
&#x201E;Berath&#x017F;chlagung u&#x0364;ber Krieg und Frieden?<lb/>
&#x201E;Jn un&#x017F;ern Verfa&#x017F;&#x017F;ungen bezahlt das Volk<lb/>
&#x201E;&#x017F;eine Abgaben, und wird u&#x0364;ber den Gebrauch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 4</fw><fw place="bottom" type="catch">der-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0271] 5. Haben wir deutſche Ciceronen *? Erſt muͤſſen wir Beredſamkeit und Wohl- „redenheit unterſcheiden, und mit dem Ci- „cero bei der erſtern diejenige, welche in der „Feldſchlacht gegen die bloßen Schwerter an- „ruͤckt, quae in acie verſatur et ferro, von „der abſondern, die nur auf der Uebungs- „bahn ſich zeiget. Die erſte mangelt uns, „und wir koͤnnen keinen Redner haben, den „wir mit Cicero oder Demoſthenes meſſen „koͤnnten. „Wir haben keine politiſche Beredſam- „keit; nicht einen Schatten davon, und koͤn- „nen ſie auch nicht haben, weil unſre Staats- „verfaſſungen gar nicht dazu eingerichtet ſind- „Wo iſt das Volk? Wo ſind die verſammle- „ten Provinzen? Wo ſind die angeklagten „Feldherren und Fuͤrſten? wo iſt oͤffentliche „Berathſchlagung uͤber Krieg und Frieden? „Jn unſern Verfaſſungen bezahlt das Volk „ſeine Abgaben, und wird uͤber den Gebrauch der- * Dies ganze Fragment iſt aus den Litt. Br. Th. 13. p. 106. R 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/271
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/271>, abgerufen am 26.06.2024.