Demagogi in einer demokratisch eingerichte- ten Republik, sind dennoch in Ausübung die- ser Kunst sehr von einander unterschieden. Der erste, welcher mit einem politern, gelehr- tern und witzigern Volk zu thun hatte, setzte den größten Nachdruck seiner Beredsamkeit in die Stärke seiner Beweisgründe, und suchte also hauptsächlich den Verstand zu überzeu- gen. Tullius hingegen sahe mehr auf die Neigungen einer aufrichtigen, nicht so gelehr- ten und lebhaften Nation, und blieb deswe- gen bei der pathetischen Beredsamkeit, welche die Affekten erreget.
Allein, das Vornehmste, das man hiebei beobachten muß, ist, daß diese Reden in allen ihren Reden ein besonderes Vorhaben hat- ten: und alles wurde gleich auf der Stelle ausgemacht, nachdem der Vortrag des Red- ners Beifall fand. Hier war es unumgäng- lich nöthig, die Affekten der Zuhörer entwe- der zu erregen, oder zu besänftigen, inson- derheit zu Rom, wo Tullius war. Mit dieses letzten Reden machen sich junge Geist- liche, (ich meine die, welche Autores lesen.) insgemein mehr bekannt, als mit des De-
mosthe-
Demagogi in einer demokratiſch eingerichte- ten Republik, ſind dennoch in Ausuͤbung die- ſer Kunſt ſehr von einander unterſchieden. Der erſte, welcher mit einem politern, gelehr- tern und witzigern Volk zu thun hatte, ſetzte den groͤßten Nachdruck ſeiner Beredſamkeit in die Staͤrke ſeiner Beweisgruͤnde, und ſuchte alſo hauptſaͤchlich den Verſtand zu uͤberzeu- gen. Tullius hingegen ſahe mehr auf die Neigungen einer aufrichtigen, nicht ſo gelehr- ten und lebhaften Nation, und blieb deswe- gen bei der pathetiſchen Beredſamkeit, welche die Affekten erreget.
Allein, das Vornehmſte, das man hiebei beobachten muß, iſt, daß dieſe Reden in allen ihren Reden ein beſonderes Vorhaben hat- ten: und alles wurde gleich auf der Stelle ausgemacht, nachdem der Vortrag des Red- ners Beifall fand. Hier war es unumgaͤng- lich noͤthig, die Affekten der Zuhoͤrer entwe- der zu erregen, oder zu beſaͤnftigen, inſon- derheit zu Rom, wo Tullius war. Mit dieſes letzten Reden machen ſich junge Geiſt- liche, (ich meine die, welche Autores leſen.) insgemein mehr bekannt, als mit des De-
moſthe-
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Demagogi in einer demokratiſch eingerichte-
ten Republik, ſind dennoch in Ausuͤbung die-
ſer Kunſt ſehr von einander unterſchieden.
Der erſte, welcher mit einem politern, gelehr-
tern und witzigern Volk zu thun hatte, ſetzte
den groͤßten Nachdruck ſeiner Beredſamkeit in
die Staͤrke ſeiner Beweisgruͤnde, und ſuchte
alſo hauptſaͤchlich den Verſtand zu uͤberzeu-
gen. Tullius hingegen ſahe mehr auf die
Neigungen einer aufrichtigen, nicht ſo gelehr-
ten und lebhaften Nation, und blieb deswe-
gen bei der pathetiſchen Beredſamkeit, welche
die Affekten erreget.
Allein, das Vornehmſte, das man hiebei
beobachten muß, iſt, daß dieſe Reden in allen
ihren Reden ein beſonderes Vorhaben hat-
ten: und alles wurde gleich auf der Stelle
ausgemacht, nachdem der Vortrag des Red-
ners Beifall fand. Hier war es unumgaͤng-
lich noͤthig, die Affekten der Zuhoͤrer entwe-
der zu erregen, oder zu beſaͤnftigen, inſon-
derheit zu Rom, wo Tullius war. Mit
dieſes letzten Reden machen ſich junge Geiſt-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/288>, abgerufen am 21.11.2024.
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