Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

mosthenes seinen, welcher doch jenen in vie-
len Stücken übertraf, was insonderheit die
Redekunst anlanget. Allein, ich kann nicht
sehen, wie die Kunst, die Affekten zu erregen,
von großem Nutzen seyn könne, wenn man
die Christen unterrichtet, wie sie ihren Wan-
del gebührend anzustellen haben, wenigstens
in unsern nördlichen Climatibus, wo ich ge-
wiß versichert bin, daß auch die größeste
Beredsamkeit von dieser Art wenig Eindruck
in unsre Gemüther haben wird, ja nicht ein-
mal so viel, daß die Wirkung davon sich nur
bis auf den andern Morgen erstreckte. Jch
glaube gewiß, daß die Prediger, welche in
lauter Epiphonematibus predigen, wenn sie
sich umsehen, einen großen Theil ihrer Zu-
hörer in der Unachtsamkeit, und einen großen
Theil schlafend finden werden. Und es ist
auch kein Wunder, daß ein solches Mittel
nicht allemal anschlägt, massen es so viel Kunst
und Geschicklichkeit erfodert, wenn man es
darinn zu einiger Vollkommenheit bringen
will, als mancher nicht im Cicero findet,
geschweige aus ihm lernet.

Drit-
S 5

moſthenes ſeinen, welcher doch jenen in vie-
len Stuͤcken uͤbertraf, was inſonderheit die
Redekunſt anlanget. Allein, ich kann nicht
ſehen, wie die Kunſt, die Affekten zu erregen,
von großem Nutzen ſeyn koͤnne, wenn man
die Chriſten unterrichtet, wie ſie ihren Wan-
del gebuͤhrend anzuſtellen haben, wenigſtens
in unſern noͤrdlichen Climatibus, wo ich ge-
wiß verſichert bin, daß auch die groͤßeſte
Beredſamkeit von dieſer Art wenig Eindruck
in unſre Gemuͤther haben wird, ja nicht ein-
mal ſo viel, daß die Wirkung davon ſich nur
bis auf den andern Morgen erſtreckte. Jch
glaube gewiß, daß die Prediger, welche in
lauter Epiphonematibus predigen, wenn ſie
ſich umſehen, einen großen Theil ihrer Zu-
hoͤrer in der Unachtſamkeit, und einen großen
Theil ſchlafend finden werden. Und es iſt
auch kein Wunder, daß ein ſolches Mittel
nicht allemal anſchlaͤgt, maſſen es ſo viel Kunſt
und Geſchicklichkeit erfodert, wenn man es
darinn zu einiger Vollkommenheit bringen
will, als mancher nicht im Cicero findet,
geſchweige aus ihm lernet.

Drit-
S 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0289" n="281"/>
mo&#x017F;thenes &#x017F;einen, welcher doch jenen in vie-<lb/>
len Stu&#x0364;cken u&#x0364;bertraf, was in&#x017F;onderheit die<lb/>
Redekun&#x017F;t anlanget. Allein, ich kann nicht<lb/>
&#x017F;ehen, wie die Kun&#x017F;t, die Affekten zu erregen,<lb/>
von großem Nutzen &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, wenn man<lb/>
die Chri&#x017F;ten unterrichtet, wie &#x017F;ie ihren Wan-<lb/>
del gebu&#x0364;hrend anzu&#x017F;tellen haben, wenig&#x017F;tens<lb/>
in un&#x017F;ern no&#x0364;rdlichen Climatibus, wo ich ge-<lb/>
wiß ver&#x017F;ichert bin, daß auch die gro&#x0364;ße&#x017F;te<lb/>
Bered&#x017F;amkeit von die&#x017F;er Art wenig Eindruck<lb/>
in un&#x017F;re Gemu&#x0364;ther haben wird, ja nicht ein-<lb/>
mal &#x017F;o viel, daß die Wirkung davon &#x017F;ich nur<lb/>
bis auf den andern Morgen er&#x017F;treckte. Jch<lb/>
glaube gewiß, daß die Prediger, welche in<lb/>
lauter <hi rendition="#aq">Epiphonematibus</hi> predigen, wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich um&#x017F;ehen, einen großen Theil ihrer Zu-<lb/>
ho&#x0364;rer in der Unacht&#x017F;amkeit, und einen großen<lb/>
Theil &#x017F;chlafend finden werden. Und es i&#x017F;t<lb/>
auch kein Wunder, daß ein &#x017F;olches Mittel<lb/>
nicht allemal an&#x017F;chla&#x0364;gt, ma&#x017F;&#x017F;en es &#x017F;o viel Kun&#x017F;t<lb/>
und Ge&#x017F;chicklichkeit erfodert, wenn man es<lb/>
darinn zu einiger Vollkommenheit bringen<lb/>
will, als mancher nicht im <hi rendition="#fr">Cicero</hi> findet,<lb/>
ge&#x017F;chweige aus ihm lernet.</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig">S 5</fw>
                <fw place="bottom" type="catch">Drit-</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0289] moſthenes ſeinen, welcher doch jenen in vie- len Stuͤcken uͤbertraf, was inſonderheit die Redekunſt anlanget. Allein, ich kann nicht ſehen, wie die Kunſt, die Affekten zu erregen, von großem Nutzen ſeyn koͤnne, wenn man die Chriſten unterrichtet, wie ſie ihren Wan- del gebuͤhrend anzuſtellen haben, wenigſtens in unſern noͤrdlichen Climatibus, wo ich ge- wiß verſichert bin, daß auch die groͤßeſte Beredſamkeit von dieſer Art wenig Eindruck in unſre Gemuͤther haben wird, ja nicht ein- mal ſo viel, daß die Wirkung davon ſich nur bis auf den andern Morgen erſtreckte. Jch glaube gewiß, daß die Prediger, welche in lauter Epiphonematibus predigen, wenn ſie ſich umſehen, einen großen Theil ihrer Zu- hoͤrer in der Unachtſamkeit, und einen großen Theil ſchlafend finden werden. Und es iſt auch kein Wunder, daß ein ſolches Mittel nicht allemal anſchlaͤgt, maſſen es ſo viel Kunſt und Geſchicklichkeit erfodert, wenn man es darinn zu einiger Vollkommenheit bringen will, als mancher nicht im Cicero findet, geſchweige aus ihm lernet. Drit- S 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/289
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/289>, abgerufen am 21.11.2024.