"Redner zum Lobe angerechnet, wenn er einen "ganzen Tag mit seinem Vortrage hinbrachte. "Daher konnten lange Eingänge und Vor- "bereitungen, eine Reihe historischer weit- "hergeholter Umstände, der prächtige Auf- "zug mit vielen Eintheilungen, die Steige- "rung von tausend Beweisen, und was es "sonst vor Regeln in den trocknen staubichten "Büchern des Hermagoras und Apollodors "gibt -- alles konnte damals zur Ehre ge- "reichen: und hatte der Redner noch dazu "etwas von Weltweisheit genaschet, und "brachte aus ihr ein Stück in seine Rede -- "o so wurde er zum Himmel erhoben! Und "wer wird sich hierüber wundern? Dies al- "les war neu und unbekannt; selbst die we- "nigsten Redner sahen die Vorschriften der "Redekünstler und die Säzze der Weltweisen "ein. Aber, mein Gott! jetzt, da alles dies "bekannt ist, da kaum jemand an der Kirchen- "thür stehet, (der Römer sagt in cortina) "der nicht die Anfangsgründe der Religion, "(im lateinischen studiorum) wenn nicht ver- "dauet, so doch gekostet hätte: ist da nicht "eine neue Rednerbahn nöthig, um dem Ohr
"nicht
T 2
„Redner zum Lobe angerechnet, wenn er einen „ganzen Tag mit ſeinem Vortrage hinbrachte. „Daher konnten lange Eingaͤnge und Vor- „bereitungen, eine Reihe hiſtoriſcher weit- „hergeholter Umſtaͤnde, der praͤchtige Auf- „zug mit vielen Eintheilungen, die Steige- „rung von tauſend Beweiſen, und was es „ſonſt vor Regeln in den trocknen ſtaubichten „Buͤchern des Hermagoras und Apollodors „gibt — alles konnte damals zur Ehre ge- „reichen: und hatte der Redner noch dazu „etwas von Weltweisheit genaſchet, und „brachte aus ihr ein Stuͤck in ſeine Rede — „o ſo wurde er zum Himmel erhoben! Und „wer wird ſich hieruͤber wundern? Dies al- „les war neu und unbekannt; ſelbſt die we- „nigſten Redner ſahen die Vorſchriften der „Redekuͤnſtler und die Saͤzze der Weltweiſen „ein. Aber, mein Gott! jetzt, da alles dies „bekannt iſt, da kaum jemand an der Kirchen- „thuͤr ſtehet, (der Roͤmer ſagt in cortina) „der nicht die Anfangsgruͤnde der Religion, „(im lateiniſchen ſtudiorum) wenn nicht ver- „dauet, ſo doch gekoſtet haͤtte: iſt da nicht „eine neue Rednerbahn noͤthig, um dem Ohr
„nicht
T 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0299"n="291"/>„Redner zum Lobe angerechnet, wenn er einen<lb/>„ganzen Tag mit ſeinem Vortrage hinbrachte.<lb/>„Daher konnten lange Eingaͤnge und Vor-<lb/>„bereitungen, eine Reihe hiſtoriſcher weit-<lb/>„hergeholter Umſtaͤnde, der praͤchtige Auf-<lb/>„zug mit vielen Eintheilungen, die Steige-<lb/>„rung von tauſend Beweiſen, und was es<lb/>„ſonſt vor Regeln in den trocknen ſtaubichten<lb/>„Buͤchern des Hermagoras und Apollodors<lb/>„gibt — alles konnte damals zur Ehre ge-<lb/>„reichen: und hatte der Redner noch dazu<lb/>„etwas von Weltweisheit genaſchet, und<lb/>„brachte aus ihr ein Stuͤck in ſeine Rede —<lb/>„o ſo wurde er zum Himmel erhoben! Und<lb/>„wer wird ſich hieruͤber wundern? Dies al-<lb/>„les war neu und unbekannt; ſelbſt die we-<lb/>„nigſten Redner ſahen die Vorſchriften der<lb/>„Redekuͤnſtler und die Saͤzze der Weltweiſen<lb/>„ein. Aber, mein Gott! jetzt, da alles dies<lb/>„bekannt iſt, da kaum jemand an der Kirchen-<lb/>„thuͤr ſtehet, (der Roͤmer ſagt <hirendition="#aq">in cortina</hi>)<lb/>„der nicht die Anfangsgruͤnde der Religion,<lb/>„(im lateiniſchen <hirendition="#aq">ſtudiorum)</hi> wenn nicht ver-<lb/>„dauet, ſo doch gekoſtet haͤtte: iſt da nicht<lb/>„eine neue Rednerbahn noͤthig, um dem Ohr<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">„nicht</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[291/0299]
„Redner zum Lobe angerechnet, wenn er einen
„ganzen Tag mit ſeinem Vortrage hinbrachte.
„Daher konnten lange Eingaͤnge und Vor-
„bereitungen, eine Reihe hiſtoriſcher weit-
„hergeholter Umſtaͤnde, der praͤchtige Auf-
„zug mit vielen Eintheilungen, die Steige-
„rung von tauſend Beweiſen, und was es
„ſonſt vor Regeln in den trocknen ſtaubichten
„Buͤchern des Hermagoras und Apollodors
„gibt — alles konnte damals zur Ehre ge-
„reichen: und hatte der Redner noch dazu
„etwas von Weltweisheit genaſchet, und
„brachte aus ihr ein Stuͤck in ſeine Rede —
„o ſo wurde er zum Himmel erhoben! Und
„wer wird ſich hieruͤber wundern? Dies al-
„les war neu und unbekannt; ſelbſt die we-
„nigſten Redner ſahen die Vorſchriften der
„Redekuͤnſtler und die Saͤzze der Weltweiſen
„ein. Aber, mein Gott! jetzt, da alles dies
„bekannt iſt, da kaum jemand an der Kirchen-
„thuͤr ſtehet, (der Roͤmer ſagt in cortina)
„der nicht die Anfangsgruͤnde der Religion,
„(im lateiniſchen ſtudiorum) wenn nicht ver-
„dauet, ſo doch gekoſtet haͤtte: iſt da nicht
„eine neue Rednerbahn noͤthig, um dem Ohr
„nicht
T 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/299>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.