alles eben auf ihn gemeinet haben; aber wenn er mehr, als ein guter Christ, wie die Leute vor funfzig Jahren seyn will, so muß er uns nicht ungewiß lassen, auf wen ers sagt: er muß bedenken, daß er ein Brief- steller der Litteratur im Jahr 1759. seyn soll, den die Orthodoxie, das Christenthum, der Verdacht der Freidenkerei, das fein enthusia- stische Geschwätz, die Quintessenz u. s. w. nichts angeht; der höchstens darüber urthei- len soll, ob das Kind ein Socinianer wird; nicht aber darüber, ob es der Vater zum Socinianer machen wollte, ob seine Me- thode Lehrbegrif sey, und ob es eben seine Absicht sey, diesen Lehrbegrif, diese Quint- essenz mittheilen zu wollen; ob es sein Zweck gewesen, die Wahrheit, die er er- leichtern wollte, zu entkräften, zu verstüm- meln, herabzusetzen: denn sonst ist der ganze Eifer hier am unrechten Ort. Und überhaupt diese orthodoxe Untersuchung, gehört sie zu "liederlichen *" Briefen über die neueste Litte- ratur? -- Dörfte es nicht, so fremde als
die
* Th. 4. p. 403.
alles eben auf ihn gemeinet haben; aber wenn er mehr, als ein guter Chriſt, wie die Leute vor funfzig Jahren ſeyn will, ſo muß er uns nicht ungewiß laſſen, auf wen ers ſagt: er muß bedenken, daß er ein Brief- ſteller der Litteratur im Jahr 1759. ſeyn ſoll, den die Orthodoxie, das Chriſtenthum, der Verdacht der Freidenkerei, das fein enthuſia- ſtiſche Geſchwaͤtz, die Quinteſſenz u. ſ. w. nichts angeht; der hoͤchſtens daruͤber urthei- len ſoll, ob das Kind ein Socinianer wird; nicht aber daruͤber, ob es der Vater zum Socinianer machen wollte, ob ſeine Me- thode Lehrbegrif ſey, und ob es eben ſeine Abſicht ſey, dieſen Lehrbegrif, dieſe Quint- eſſenz mittheilen zu wollen; ob es ſein Zweck geweſen, die Wahrheit, die er er- leichtern wollte, zu entkraͤften, zu verſtuͤm- meln, herabzuſetzen: denn ſonſt iſt der ganze Eifer hier am unrechten Ort. Und uͤberhaupt dieſe orthodoxe Unterſuchung, gehoͤrt ſie zu „liederlichen *„ Briefen uͤber die neueſte Litte- ratur? — Doͤrfte es nicht, ſo fremde als
die
* Th. 4. p. 403.
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alles eben auf ihn gemeinet haben; aber
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er uns nicht ungewiß laſſen, auf wen ers
ſagt: er muß bedenken, daß er ein Brief-
ſteller der Litteratur im Jahr 1759. ſeyn ſoll,
den die Orthodoxie, das Chriſtenthum, der
Verdacht der Freidenkerei, das fein enthuſia-
ſtiſche Geſchwaͤtz, die Quinteſſenz u. ſ. w.
nichts angeht; der hoͤchſtens daruͤber urthei-
len ſoll, ob das Kind ein Socinianer wird;
nicht aber daruͤber, ob es der Vater zum
Socinianer machen wollte, ob ſeine Me-
thode Lehrbegrif ſey, und ob es eben ſeine
Abſicht ſey, dieſen Lehrbegrif, dieſe Quint-
eſſenz mittheilen zu wollen; ob es ſein
Zweck geweſen, die Wahrheit, die er er-
leichtern wollte, zu entkraͤften, zu verſtuͤm-
meln, herabzuſetzen: denn ſonſt iſt der ganze
Eifer hier am unrechten Ort. Und uͤberhaupt
dieſe orthodoxe Unterſuchung, gehoͤrt ſie zu
„liederlichen *„ Briefen uͤber die neueſte Litte-
ratur? — Doͤrfte es nicht, ſo fremde als
die
* Th. 4. p. 403.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/307>, abgerufen am 21.11.2024.
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