tus sit homo? in seinem schönen Latein mit Vergnügen gelesen; (ob es ächt Römisch ist, kann keiner in unsrer Zeit, sondern bloß ein Römer, beurtheilen.) Aber hätte ein Römer dies Soliloquium geschrieben, und Heinze es übersezzt: wäre alsdenn der starke, und nachdrückliche Vortrag erschienen, der in Spaldings Bestimmung des Menschen spricht? Wenn ich seine Uebersezzungen aus dem Lateinischen kenne, und ein Gefühl von der Eigenheit unsrer Sprache habe: so glaube ich dies schwerlich.
Der deutsche Periode ist gemeiniglich die Klippe derer, die ihre Denkart nach dem La- tein gebildet: "denn hier sind die Genies "beider Sprachen sehr verschieden. Jm "Deutschen ist ein Styl schon periodisch, wenn "auch die Bindewörter der Lateiner nicht so "genau dazwischen gestellet, und die Absäzze "so gekettet an einander gehänget sind. Die "Römer musten dies wegen der Kürze ihrer "Worte thun, wenn sie nicht in den abge- "schnittenen Styl verfallen wollten. Jm "Deutschen aber, welcher Unterschied! Wenn "wir die Perioden nicht schleppen wollen, müs-
"sen
Fragm.IIIS. C
tus ſit homo? in ſeinem ſchoͤnen Latein mit Vergnuͤgen geleſen; (ob es aͤcht Roͤmiſch iſt, kann keiner in unſrer Zeit, ſondern bloß ein Roͤmer, beurtheilen.) Aber haͤtte ein Roͤmer dies Soliloquium geſchrieben, und Heinze es uͤberſezzt: waͤre alsdenn der ſtarke, und nachdruͤckliche Vortrag erſchienen, der in Spaldings Beſtimmung des Menſchen ſpricht? Wenn ich ſeine Ueberſezzungen aus dem Lateiniſchen kenne, und ein Gefuͤhl von der Eigenheit unſrer Sprache habe: ſo glaube ich dies ſchwerlich.
Der deutſche Periode iſt gemeiniglich die Klippe derer, die ihre Denkart nach dem La- tein gebildet: „denn hier ſind die Genies „beider Sprachen ſehr verſchieden. Jm „Deutſchen iſt ein Styl ſchon periodiſch, wenn „auch die Bindewoͤrter der Lateiner nicht ſo „genau dazwiſchen geſtellet, und die Abſaͤzze „ſo gekettet an einander gehaͤnget ſind. Die „Roͤmer muſten dies wegen der Kuͤrze ihrer „Worte thun, wenn ſie nicht in den abge- „ſchnittenen Styl verfallen wollten. Jm „Deutſchen aber, welcher Unterſchied! Wenn „wir die Perioden nicht ſchleppen wollen, muͤſ-
„ſen
Fragm.IIIS. C
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tus ſit homo? in ſeinem ſchoͤnen Latein mit
Vergnuͤgen geleſen; (ob es aͤcht Roͤmiſch iſt,
kann keiner in unſrer Zeit, ſondern bloß ein
Roͤmer, beurtheilen.) Aber haͤtte ein Roͤmer
dies Soliloquium geſchrieben, und Heinze
es uͤberſezzt: waͤre alsdenn der ſtarke, und
nachdruͤckliche Vortrag erſchienen, der in
Spaldings Beſtimmung des Menſchen
ſpricht? Wenn ich ſeine Ueberſezzungen aus
dem Lateiniſchen kenne, und ein Gefuͤhl von
der Eigenheit unſrer Sprache habe: ſo glaube
ich dies ſchwerlich.
Der deutſche Periode iſt gemeiniglich die
Klippe derer, die ihre Denkart nach dem La-
tein gebildet: „denn hier ſind die Genies
„beider Sprachen ſehr verſchieden. Jm
„Deutſchen iſt ein Styl ſchon periodiſch, wenn
„auch die Bindewoͤrter der Lateiner nicht ſo
„genau dazwiſchen geſtellet, und die Abſaͤzze
„ſo gekettet an einander gehaͤnget ſind. Die
„Roͤmer muſten dies wegen der Kuͤrze ihrer
„Worte thun, wenn ſie nicht in den abge-
„ſchnittenen Styl verfallen wollten. Jm
„Deutſchen aber, welcher Unterſchied! Wenn
„wir die Perioden nicht ſchleppen wollen, muͤſ-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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