Perioden, in der Lenkung und Bindung der Wörter ausdrücken: du mußt ein Gemälde hinzeichnen, daß dies selbst zur Einbildung des andern ohne deine Beihülfe spreche, sie erfülle, und durch sie sich zum Herzen grabe: du mußt Einfalt, und Reichthum, Stär- ke und Kolorit der Sprache in deiner Gewalt haben, um das durch sie zu bewürken, was du durch die Sprache des Tons und der Ge- berden erreichen willst -- wie sehr klebt hier alles am Ausdrucke: nicht in einzelnen Wor- ten, sondern in jedem Theile, im Fortgange derselben und im Ganzen. Daher rührt die Macht der Dichtkunst in jenen rohen Zeiten, wo noch die Seele der Dichter, die zu spre- chen, und nicht zu plappern gewohnt war, nicht schrieb, sondern sprach, und auch schreibend lebendige Sprache tönete: in jenen Zeiten, wo die Seele des andern nicht las, sondern hörte, und auch selbst im Lesen, zu sehen und zu hören wußte, weil sie jeder Spur des wahren und natürlichen Aus- drucks offen stand: daher rühren jede Wun- der, die die Dichtkunst geleistet, über die wir staunen und fast zweifeln; die aber unsre
süße
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Perioden, in der Lenkung und Bindung der Woͤrter ausdruͤcken: du mußt ein Gemaͤlde hinzeichnen, daß dies ſelbſt zur Einbildung des andern ohne deine Beihuͤlfe ſpreche, ſie erfuͤlle, und durch ſie ſich zum Herzen grabe: du mußt Einfalt, und Reichthum, Staͤr- ke und Kolorit der Sprache in deiner Gewalt haben, um das durch ſie zu bewuͤrken, was du durch die Sprache des Tons und der Ge- berden erreichen willſt — wie ſehr klebt hier alles am Ausdrucke: nicht in einzelnen Wor- ten, ſondern in jedem Theile, im Fortgange derſelben und im Ganzen. Daher ruͤhrt die Macht der Dichtkunſt in jenen rohen Zeiten, wo noch die Seele der Dichter, die zu ſpre- chen, und nicht zu plappern gewohnt war, nicht ſchrieb, ſondern ſprach, und auch ſchreibend lebendige Sprache toͤnete: in jenen Zeiten, wo die Seele des andern nicht las, ſondern hoͤrte, und auch ſelbſt im Leſen, zu ſehen und zu hoͤren wußte, weil ſie jeder Spur des wahren und natuͤrlichen Aus- drucks offen ſtand: daher ruͤhren jede Wun- der, die die Dichtkunſt geleiſtet, uͤber die wir ſtaunen und faſt zweifeln; die aber unſre
ſuͤße
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Perioden, in der Lenkung und Bindung der
Woͤrter ausdruͤcken: du mußt ein Gemaͤlde
hinzeichnen, daß dies ſelbſt zur Einbildung
des andern ohne deine Beihuͤlfe ſpreche, ſie
erfuͤlle, und durch ſie ſich zum Herzen grabe:
du mußt Einfalt, und Reichthum, Staͤr-
ke und Kolorit der Sprache in deiner Gewalt
haben, um das durch ſie zu bewuͤrken, was
du durch die Sprache des Tons und der Ge-
berden erreichen willſt — wie ſehr klebt hier
alles am Ausdrucke: nicht in einzelnen Wor-
ten, ſondern in jedem Theile, im Fortgange
derſelben und im Ganzen. Daher ruͤhrt die
Macht der Dichtkunſt in jenen rohen Zeiten,
wo noch die Seele der Dichter, die zu ſpre-
chen, und nicht zu plappern gewohnt war,
nicht ſchrieb, ſondern ſprach, und auch
ſchreibend lebendige Sprache toͤnete: in jenen
Zeiten, wo die Seele des andern nicht las,
ſondern hoͤrte, und auch ſelbſt im Leſen, zu
ſehen und zu hoͤren wußte, weil ſie jeder
Spur des wahren und natuͤrlichen Aus-
drucks offen ſtand: daher ruͤhren jede Wun-
der, die die Dichtkunſt geleiſtet, uͤber die
wir ſtaunen und faſt zweifeln; die aber unſre
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/75>, abgerufen am 26.11.2024.
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