größten Leichtigkeit nachsinnen, und Aus- drücke finden: in ihr den Reichthum von Bil- dern und Farben finden, der einem Dichter unumgänglich nöthig ist: in ihr die Donner- keulen und Blizzstrale finden, die er als Bote der Götter wirft: in sie ist unsre Denkart gleichsam gepflanzet, und unsre Seele und Ohr und Organen der Sprache sind mit ihr gebildet -- wo werde ich mich also besser ausdrücken, als in der Muttersprache? Sie übertrift, so wie das Vaterland, an Reiz alle übrige Sprachen, in den Augen dessen, der der Sohn ihres Herzens, der Säugling ihrer Brust, der Zügling ihrer Hände gewesen, jetzt die Freude ihrer besten Jahre ist, und die Hoffnung und Ehre ihres Alters seyn soll. --
Die Sprache, in der ich erzogen bin, ist meine Sprache: denn so wie nach Mon- tesquieu Anmerkung alle unsre Begriffe von Schönheit sich auf den ersten mächtigen Ein- druck beziehen, auf den die Seele nachher jedes Bild, das sie gewahr wird, schnell zu- rückführt, und oft ein Grübchen im Kinn, ein schönes Lispeln, wie Alcibiades sprach, und dergleichen liebenswürdigen Eigensinn schön
findet,
groͤßten Leichtigkeit nachſinnen, und Aus- druͤcke finden: in ihr den Reichthum von Bil- dern und Farben finden, der einem Dichter unumgaͤnglich noͤthig iſt: in ihr die Donner- keulen und Blizzſtrale finden, die er als Bote der Goͤtter wirft: in ſie iſt unſre Denkart gleichſam gepflanzet, und unſre Seele und Ohr und Organen der Sprache ſind mit ihr gebildet — wo werde ich mich alſo beſſer ausdruͤcken, als in der Mutterſprache? Sie uͤbertrift, ſo wie das Vaterland, an Reiz alle uͤbrige Sprachen, in den Augen deſſen, der der Sohn ihres Herzens, der Saͤugling ihrer Bruſt, der Zuͤgling ihrer Haͤnde geweſen, jetzt die Freude ihrer beſten Jahre iſt, und die Hoffnung und Ehre ihres Alters ſeyn ſoll. —
Die Sprache, in der ich erzogen bin, iſt meine Sprache: denn ſo wie nach Mon- tesquieu Anmerkung alle unſre Begriffe von Schoͤnheit ſich auf den erſten maͤchtigen Ein- druck beziehen, auf den die Seele nachher jedes Bild, das ſie gewahr wird, ſchnell zu- ruͤckfuͤhrt, und oft ein Gruͤbchen im Kinn, ein ſchoͤnes Liſpeln, wie Alcibiades ſprach, und dergleichen liebenswuͤrdigen Eigenſinn ſchoͤn
findet,
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groͤßten Leichtigkeit nachſinnen, und Aus-
druͤcke finden: in ihr den Reichthum von Bil-
dern und Farben finden, der einem Dichter
unumgaͤnglich noͤthig iſt: in ihr die Donner-
keulen und Blizzſtrale finden, die er als Bote
der Goͤtter wirft: in ſie iſt unſre Denkart
gleichſam gepflanzet, und unſre Seele und
Ohr und Organen der Sprache ſind mit ihr
gebildet — wo werde ich mich alſo beſſer
ausdruͤcken, als in der Mutterſprache? Sie
uͤbertrift, ſo wie das Vaterland, an Reiz alle
uͤbrige Sprachen, in den Augen deſſen, der
der Sohn ihres Herzens, der Saͤugling ihrer
Bruſt, der Zuͤgling ihrer Haͤnde geweſen, jetzt
die Freude ihrer beſten Jahre iſt, und die
Hoffnung und Ehre ihres Alters ſeyn ſoll. —
Die Sprache, in der ich erzogen bin, iſt
meine Sprache: denn ſo wie nach Mon-
tesquieu Anmerkung alle unſre Begriffe von
Schoͤnheit ſich auf den erſten maͤchtigen Ein-
druck beziehen, auf den die Seele nachher
jedes Bild, das ſie gewahr wird, ſchnell zu-
ruͤckfuͤhrt, und oft ein Gruͤbchen im Kinn, ein
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dergleichen liebenswuͤrdigen Eigenſinn ſchoͤn
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/84>, abgerufen am 27.11.2024.
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