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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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weit, um nicht nach dem was er weiß, son-
dern was er mag, zu handeln. Was hilft
dem Kranken alle der Vorrath von Leckerbis-
sen,
den er mit siechem Herzen nicht genies-
sen kann,
ja deß Ueberfluß ihn eben siechher-
zig machte.
--

Den Verbreitern des Mediums dieser
Bildung könnte man immer die Sprache und
den Wahn lassen, als wenn sie "die Mensch-
heit
" und insonderheit ja den Philosophen von
Paris, daß sie toute l'Europe und tout l'U-
nivers
bilden -- man weiß schon was die
Sprache bedeutet? -- Ton! conventionelle
Phrase! schöne Wendung,
oder höchstens
nützlicher Wahn. -- Aber wenn auch die auf
solche Mittel der Letternkultur fallen, die ganz
andre Werkzeuge -- wann sie eben mit je-
nen dem Jahrhundert schönen Dunst geben,
Augen auf den Glanz dieses unwürksamen
Lichts lenken, um Herzen und Hände frey zu
haben, -- Jrrthum und Verlust, ihr seyd
kläglich! --

Es gab ein Zeitalter, wo die Kunst der
Gesetzgebung für das einzige Mittel galt, Na-
tionen zu bilden, und dieß Mittel auf die son-

der-



weit, um nicht nach dem was er weiß, ſon-
dern was er mag, zu handeln. Was hilft
dem Kranken alle der Vorrath von Leckerbiſ-
ſen,
den er mit ſiechem Herzen nicht genieſ-
ſen kann,
ja deß Ueberfluß ihn eben ſiechher-
zig machte.

Den Verbreitern des Mediums dieſer
Bildung koͤnnte man immer die Sprache und
den Wahn laſſen, als wenn ſie „die Menſch-
heit
„ und inſonderheit ja den Philoſophen von
Paris, daß ſie toute l’Europe und tout l’U-
nivers
bilden — man weiß ſchon was die
Sprache bedeutet? — Ton! conventionelle
Phraſe! ſchoͤne Wendung,
oder hoͤchſtens
nuͤtzlicher Wahn. — Aber wenn auch die auf
ſolche Mittel der Letternkultur fallen, die ganz
andre Werkzeuge — wann ſie eben mit je-
nen dem Jahrhundert ſchoͤnen Dunſt geben,
Augen auf den Glanz dieſes unwuͤrkſamen
Lichts lenken, um Herzen und Haͤnde frey zu
haben, — Jrrthum und Verluſt, ihr ſeyd
klaͤglich! —

Es gab ein Zeitalter, wo die Kunſt der
Geſetzgebung fuͤr das einzige Mittel galt, Na-
tionen zu bilden, und dieß Mittel auf die ſon-

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[111/0115] weit, um nicht nach dem was er weiß, ſon- dern was er mag, zu handeln. Was hilft dem Kranken alle der Vorrath von Leckerbiſ- ſen, den er mit ſiechem Herzen nicht genieſ- ſen kann, ja deß Ueberfluß ihn eben ſiechher- zig machte. — Den Verbreitern des Mediums dieſer Bildung koͤnnte man immer die Sprache und den Wahn laſſen, als wenn ſie „die Menſch- heit„ und inſonderheit ja den Philoſophen von Paris, daß ſie toute l’Europe und tout l’U- nivers bilden — man weiß ſchon was die Sprache bedeutet? — Ton! conventionelle Phraſe! ſchoͤne Wendung, oder hoͤchſtens nuͤtzlicher Wahn. — Aber wenn auch die auf ſolche Mittel der Letternkultur fallen, die ganz andre Werkzeuge — wann ſie eben mit je- nen dem Jahrhundert ſchoͤnen Dunſt geben, Augen auf den Glanz dieſes unwuͤrkſamen Lichts lenken, um Herzen und Haͤnde frey zu haben, — Jrrthum und Verluſt, ihr ſeyd klaͤglich! — Es gab ein Zeitalter, wo die Kunſt der Geſetzgebung fuͤr das einzige Mittel galt, Na- tionen zu bilden, und dieß Mittel auf die ſon- der-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/115>, abgerufen am 24.11.2024.