Stande so gemeinerer Seele, als jener Linsen- werfer, nur glücklich geworfen zu haben, oder jener Flötenspieler, der nur die Löcher trift --
Mit dir rede ich lieber, Hirt deiner Heer- de, Vater, Mutter in der armen Hütte! Auch dir sind tausend Antriebe und Lockungen ge- nommen, die dir einst dein Vatergeschäft zum Himmel machten. Kannst dein Kind nicht be- stimmen! wird dir frühe vielleicht in der Wiege schon mit einer Ehrenfessel der Freyheit -- höchstes Jdeal unsrer Philosophen! -- gezeich- net: Kannsts nicht für väterlichen Heerd, Va- tersitten, Tugend und Daseyn erziehen -- es mangelt dir also schon immer Kreis, und da alles verwirret ist, und läuft die erleichternste Triebfeder der Erziehung, Absicht. Mußt besorgen, daß, so bald es dir aus den Hän- den gerissen wird, es mit Einmal ins große Lichtmeer des Jahrhunderts, Abgrund! sinke -- Versunknes Kleinod! unwiederbringliche Exi- stenz einer Menschenseele! der blüthenreiche Baum, zu früh aus seiner Muttererde geris- sen, in eine Welt von Stürmen verpflanzt, denen der härteste Stamm oft kaum bestehet, vielleicht gar dahin eingepflanzt mit verkehrtem
En-
Stande ſo gemeinerer Seele, als jener Linſen- werfer, nur gluͤcklich geworfen zu haben, oder jener Floͤtenſpieler, der nur die Loͤcher trift —
Mit dir rede ich lieber, Hirt deiner Heer- de, Vater, Mutter in der armen Huͤtte! Auch dir ſind tauſend Antriebe und Lockungen ge- nommen, die dir einſt dein Vatergeſchaͤft zum Himmel machten. Kannſt dein Kind nicht be- ſtimmen! wird dir fruͤhe vielleicht in der Wiege ſchon mit einer Ehrenfeſſel der Freyheit — hoͤchſtes Jdeal unſrer Philoſophen! — gezeich- net: Kannſts nicht fuͤr vaͤterlichen Heerd, Va- terſitten, Tugend und Daſeyn erziehen — es mangelt dir alſo ſchon immer Kreis, und da alles verwirret iſt, und laͤuft die erleichternſte Triebfeder der Erziehung, Abſicht. Mußt beſorgen, daß, ſo bald es dir aus den Haͤn- den geriſſen wird, es mit Einmal ins große Lichtmeer des Jahrhunderts, Abgrund! ſinke — Verſunknes Kleinod! unwiederbringliche Exi- ſtenz einer Menſchenſeele! der bluͤthenreiche Baum, zu fruͤh aus ſeiner Muttererde geriſ- ſen, in eine Welt von Stuͤrmen verpflanzt, denen der haͤrteſte Stamm oft kaum beſtehet, vielleicht gar dahin eingepflanzt mit verkehrtem
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Stande ſo gemeinerer Seele, als jener Linſen-
werfer, nur gluͤcklich geworfen zu haben, oder
jener Floͤtenſpieler, der nur die Loͤcher
trift —
Mit dir rede ich lieber, Hirt deiner Heer-
de, Vater, Mutter in der armen Huͤtte! Auch
dir ſind tauſend Antriebe und Lockungen ge-
nommen, die dir einſt dein Vatergeſchaͤft zum
Himmel machten. Kannſt dein Kind nicht be-
ſtimmen! wird dir fruͤhe vielleicht in der Wiege
ſchon mit einer Ehrenfeſſel der Freyheit —
hoͤchſtes Jdeal unſrer Philoſophen! — gezeich-
net: Kannſts nicht fuͤr vaͤterlichen Heerd, Va-
terſitten, Tugend und Daſeyn erziehen — es
mangelt dir alſo ſchon immer Kreis, und da
alles verwirret iſt, und laͤuft die erleichternſte
Triebfeder der Erziehung, Abſicht. Mußt
beſorgen, daß, ſo bald es dir aus den Haͤn-
den geriſſen wird, es mit Einmal ins große
Lichtmeer des Jahrhunderts, Abgrund! ſinke —
Verſunknes Kleinod! unwiederbringliche Exi-
ſtenz einer Menſchenſeele! der bluͤthenreiche
Baum, zu fruͤh aus ſeiner Muttererde geriſ-
ſen, in eine Welt von Stuͤrmen verpflanzt,
denen der haͤrteſte Stamm oft kaum beſtehet,
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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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