Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



Ende, Gipfel statt Wurzel, und die traurige
Wurzel in der Luft -- er droht dir in Kurzem
da zu stehn, verdorret, scheußlich, Blüthe und
Frucht auf der Erde -- Verzweifle nicht im
Hefen des Zeitalters! was dich auch drohe und
hindere -- erziehe. Erzieh um so besser, siche-
rer, fester
-- für alle Stände und Trübsale,
wohin er geworfen werde! für Stürme, die
auf ihn warten!
Unthätig seyn kannst du doch
nicht: böse, oder gut erziehen mußt du: gut --
und wie größere Tugend! wie größerer Lohn,
als in jedem Paradiese leichterer Zwecke und
einförmigerer Bildung. Wie nöthiger hat
jetzt die Welt Einen der simplen Tugend erzog-
nen, als sies jemals hatte! Wo alle Sitten
gleich
und alle gleich eben, recht und gut
sind -- was brauchts Mühe! Gewohnheit er-
zieht und Tugend verliert sich in bloße Gewohn-
heit. Aber hier! Ein leuchtender Stern in
der Nacht! Demant unter Haufen Erde- und
Kalksteine! Einen Menschen unter Schaaren
Affen und politischer Larven -- wie viel kann
er weiter bilden durchs stille, göttliche Bey-
spiel! Wellen um und nach sich verbreiten
vielleicht in die Zukunft! -- zudem denke,
wie reiner deine Tugend und edler! mehrere
und größere Hülfsmittel der Erziehung von

ge-
L 3



Ende, Gipfel ſtatt Wurzel, und die traurige
Wurzel in der Luft — er droht dir in Kurzem
da zu ſtehn, verdorret, ſcheußlich, Bluͤthe und
Frucht auf der Erde — Verzweifle nicht im
Hefen des Zeitalters! was dich auch drohe und
hindere — erziehe. Erzieh um ſo beſſer, ſiche-
rer, feſter
— fuͤr alle Staͤnde und Truͤbſale,
wohin er geworfen werde! fuͤr Stuͤrme, die
auf ihn warten!
Unthaͤtig ſeyn kannſt du doch
nicht: boͤſe, oder gut erziehen mußt du: gut —
und wie groͤßere Tugend! wie groͤßerer Lohn,
als in jedem Paradieſe leichterer Zwecke und
einfoͤrmigerer Bildung. Wie noͤthiger hat
jetzt die Welt Einen der ſimplen Tugend erzog-
nen, als ſies jemals hatte! Wo alle Sitten
gleich
und alle gleich eben, recht und gut
ſind — was brauchts Muͤhe! Gewohnheit er-
zieht und Tugend verliert ſich in bloße Gewohn-
heit. Aber hier! Ein leuchtender Stern in
der Nacht! Demant unter Haufen Erde- und
Kalkſteine! Einen Menſchen unter Schaaren
Affen und politiſcher Larven — wie viel kann
er weiter bilden durchs ſtille, goͤttliche Bey-
ſpiel! Wellen um und nach ſich verbreiten
vielleicht in die Zukunft! — zudem denke,
wie reiner deine Tugend und edler! mehrere
und groͤßere Huͤlfsmittel der Erziehung von

ge-
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0169" n="165"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw><hi rendition="#b">Ende,</hi> Gipfel &#x017F;tatt Wurzel, und die traurige<lb/>
Wurzel in der Luft &#x2014; er droht dir in Kurzem<lb/>
da zu &#x017F;tehn, verdorret, &#x017F;cheußlich, Blu&#x0364;the und<lb/>
Frucht auf der Erde &#x2014; Verzweifle nicht im<lb/>
Hefen des Zeitalters! was dich auch drohe und<lb/>
hindere &#x2014; <hi rendition="#b">erziehe.</hi> Erzieh um &#x017F;o <hi rendition="#b">be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;iche-<lb/>
rer, fe&#x017F;ter</hi> &#x2014; fu&#x0364;r alle <hi rendition="#b">Sta&#x0364;nde</hi> und <hi rendition="#b">Tru&#x0364;b&#x017F;ale,</hi><lb/>
wohin er geworfen werde! fu&#x0364;r <hi rendition="#b">Stu&#x0364;rme, die<lb/>
auf ihn warten!</hi> Untha&#x0364;tig &#x017F;eyn kann&#x017F;t du doch<lb/>
nicht: bo&#x0364;&#x017F;e, oder gut erziehen mußt du: gut &#x2014;<lb/>
und wie <hi rendition="#b">gro&#x0364;ßere Tugend!</hi> wie <hi rendition="#b">gro&#x0364;ßerer Lohn,</hi><lb/>
als in jedem Paradie&#x017F;e <hi rendition="#b">leichterer Zwecke</hi> und<lb/><hi rendition="#b">einfo&#x0364;rmigerer Bildung.</hi> Wie no&#x0364;thiger hat<lb/>
jetzt die Welt <hi rendition="#b">Einen</hi> der &#x017F;implen Tugend erzog-<lb/>
nen, als &#x017F;ies jemals hatte! Wo <hi rendition="#b">alle Sitten<lb/>
gleich</hi> und alle gleich <hi rendition="#b">eben, recht</hi> und <hi rendition="#b">gut</hi><lb/>
&#x017F;ind &#x2014; was brauchts <hi rendition="#b">Mu&#x0364;he!</hi> Gewohnheit er-<lb/>
zieht und Tugend verliert &#x017F;ich in bloße Gewohn-<lb/>
heit. Aber hier! Ein leuchtender Stern in<lb/>
der Nacht! Demant unter Haufen Erde- und<lb/>
Kalk&#x017F;teine! Einen Men&#x017F;chen unter Schaaren<lb/>
Affen und politi&#x017F;cher Larven &#x2014; wie viel kann<lb/>
er weiter bilden durchs &#x017F;tille, go&#x0364;ttliche Bey-<lb/>
&#x017F;piel! <hi rendition="#b">Wellen um</hi> und <hi rendition="#b">nach</hi> &#x017F;ich verbreiten<lb/>
vielleicht in die Zukunft! &#x2014; zudem denke,<lb/>
wie reiner <hi rendition="#b">deine Tugend</hi> und <hi rendition="#b">edler!</hi> mehrere<lb/>
und gro&#x0364;ßere <hi rendition="#b">Hu&#x0364;lfsmittel</hi> der Erziehung von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0169] Ende, Gipfel ſtatt Wurzel, und die traurige Wurzel in der Luft — er droht dir in Kurzem da zu ſtehn, verdorret, ſcheußlich, Bluͤthe und Frucht auf der Erde — Verzweifle nicht im Hefen des Zeitalters! was dich auch drohe und hindere — erziehe. Erzieh um ſo beſſer, ſiche- rer, feſter — fuͤr alle Staͤnde und Truͤbſale, wohin er geworfen werde! fuͤr Stuͤrme, die auf ihn warten! Unthaͤtig ſeyn kannſt du doch nicht: boͤſe, oder gut erziehen mußt du: gut — und wie groͤßere Tugend! wie groͤßerer Lohn, als in jedem Paradieſe leichterer Zwecke und einfoͤrmigerer Bildung. Wie noͤthiger hat jetzt die Welt Einen der ſimplen Tugend erzog- nen, als ſies jemals hatte! Wo alle Sitten gleich und alle gleich eben, recht und gut ſind — was brauchts Muͤhe! Gewohnheit er- zieht und Tugend verliert ſich in bloße Gewohn- heit. Aber hier! Ein leuchtender Stern in der Nacht! Demant unter Haufen Erde- und Kalkſteine! Einen Menſchen unter Schaaren Affen und politiſcher Larven — wie viel kann er weiter bilden durchs ſtille, goͤttliche Bey- ſpiel! Wellen um und nach ſich verbreiten vielleicht in die Zukunft! — zudem denke, wie reiner deine Tugend und edler! mehrere und groͤßere Huͤlfsmittel der Erziehung von ge- L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/169
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/169>, abgerufen am 24.11.2024.