[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.kein Reisebeschreiber berichtet oder gesagt hat. Einige Statuen haben Augapfel. Wo es Daß
kein Reiſebeſchreiber berichtet oder geſagt hat. Einige Statuen haben Augapfel. Wo es Daß
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0050" n="47"/> kein Reiſebeſchreiber berichtet oder geſagt hat.<lb/> Gnug, in der Kunſt ſind ſie Augenbranen der<lb/> Gratien, dem <hi rendition="#fr">ſanften ſtillen Gefuͤhl.</hi> Was<lb/> ſollten da die Buͤſche (<hi rendition="#aq">Stupori</hi>) oder die ſich ſtraͤu-<lb/> benden Bogen? Wer hat nicht geſehen, wie bey<lb/> abgenommenen erſten Gipsabdruͤcken eines Ge-<lb/> ſichts jedes einzelne Haar ſo widrig und unſanft<lb/> thut, als jede Pockengrube oder jede fatale Un-<lb/> ebenheit und Lostrennung vom Antlitz. Die ein-<lb/> zelnen Haͤrchen ſchauern uns durch, es iſt wie eine<lb/> Scharte im Meſſer, nur etwas was die Form<lb/> hindert und nicht zu ihr gehoͤrt. Der Griechiſche<lb/> Kuͤnſtler <hi rendition="#fr">deutet</hi> alſo nur <hi rendition="#fr">an:</hi> er ſatzte fuͤrs Ge-<lb/> fuͤhl <hi rendition="#fr">die Grenze</hi> zwiſchen Stirn und Auge, wie<lb/> eine ſanfte Schneide hin, und ließ dem Sinn,<lb/> der daruͤber gleitet, das Uebrige <hi rendition="#fr">ahnden.</hi></p><lb/> <p>Einige Statuen haben <hi rendition="#fr">Augapfel.</hi> Wo es<lb/> ertraͤglich ſeyn ſoll, muß er nur <hi rendition="#fr">angedeutet</hi> ſeyn,<lb/> und die meiſten und beſten haben <hi rendition="#fr">keinen.</hi> Es<lb/> war ſchlimmer Geſchmack der letzten Jahrhun-<lb/> derte, da man, ſtatt ſchoͤn zu machen, reich<lb/> machte und Glas oder Silber hineinſetzte. Eben<lb/> ſo wars <hi rendition="#fr">Jugend</hi> der Kunſt, die noch aus <hi rendition="#fr">hoͤl-<lb/> zernen</hi> Denkmalen hervorging, da man die Sta-<lb/> tuen <hi rendition="#fr">faͤrbte.</hi> Jn den ſchoͤnſten Zeiten brauchten<lb/> ſie weder Roͤcke noch Farben, weder Augapfel<lb/> noch Silber, die Kunſt ſtand, wie Venus, nackt<lb/> da und das war ihr Schmuck und Reichthum.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Daß</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0050]
kein Reiſebeſchreiber berichtet oder geſagt hat.
Gnug, in der Kunſt ſind ſie Augenbranen der
Gratien, dem ſanften ſtillen Gefuͤhl. Was
ſollten da die Buͤſche (Stupori) oder die ſich ſtraͤu-
benden Bogen? Wer hat nicht geſehen, wie bey
abgenommenen erſten Gipsabdruͤcken eines Ge-
ſichts jedes einzelne Haar ſo widrig und unſanft
thut, als jede Pockengrube oder jede fatale Un-
ebenheit und Lostrennung vom Antlitz. Die ein-
zelnen Haͤrchen ſchauern uns durch, es iſt wie eine
Scharte im Meſſer, nur etwas was die Form
hindert und nicht zu ihr gehoͤrt. Der Griechiſche
Kuͤnſtler deutet alſo nur an: er ſatzte fuͤrs Ge-
fuͤhl die Grenze zwiſchen Stirn und Auge, wie
eine ſanfte Schneide hin, und ließ dem Sinn,
der daruͤber gleitet, das Uebrige ahnden.
Einige Statuen haben Augapfel. Wo es
ertraͤglich ſeyn ſoll, muß er nur angedeutet ſeyn,
und die meiſten und beſten haben keinen. Es
war ſchlimmer Geſchmack der letzten Jahrhun-
derte, da man, ſtatt ſchoͤn zu machen, reich
machte und Glas oder Silber hineinſetzte. Eben
ſo wars Jugend der Kunſt, die noch aus hoͤl-
zernen Denkmalen hervorging, da man die Sta-
tuen faͤrbte. Jn den ſchoͤnſten Zeiten brauchten
ſie weder Roͤcke noch Farben, weder Augapfel
noch Silber, die Kunſt ſtand, wie Venus, nackt
da und das war ihr Schmuck und Reichthum.
Daß
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