[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.ter seyn muste, aufs Haupt gebunden und nicht Es ist bekannt, mit welcher Feinheit die kein
ter ſeyn muſte, aufs Haupt gebunden und nicht Es iſt bekannt, mit welcher Feinheit die kein
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0049" n="46"/> ter ſeyn muſte, aufs Haupt gebunden und nicht<lb/> um den Kopf fliegend. Keiner Bacchante flat-<lb/> terts, denn es kann ja nicht flattern: dem ſchnell-<lb/> gehenden zornigen Apollo iſts „wie die zarten und<lb/> „fluͤßigen Schlingen edler Weinreben, gleichſam<lb/> „von einer ſanften Luft bewegt, das Haupt um-<lb/> „ſpielend„. Bey andern liegts wie eine ſchoͤne<lb/> Decke (εξομσια) hinauf, bei andern in tiefen Fur-<lb/> chen hinunter. Nie aber faͤhrts, wie einer ge-<lb/> mahlten Eva, laͤngelang hinunter, der Geſtalt<lb/> den Ruͤcken zu rauben, und ſelbſt bei einer Aphro-<lb/> dite aus Muſchel oder Bade, faͤllets, obwohl<lb/> naß und Klettenweiſe, doch wohlgeordnet und<lb/> nicht waldicht hinab: denn dem Gefuͤhl muͤſſen<lb/> die Haare nie Wald, ſondern ſanfte, nachge-<lb/> bende Maſſe werden, die ſich endlich ſelbſt ver-<lb/> liert. Der Mahlerei ſind ſie Farbe, Schatte,<lb/> Schattierung, die kann ſie ſchon freier ordnen. —</p><lb/> <p>Es iſt bekannt, mit welcher Feinheit die<lb/> Griechiſchen Kuͤnſtler die <hi rendition="#fr">Augenbranen</hi> ihrer<lb/> Statuen angedeutet haben; <hi rendition="#fr">angedeutet,</hi> in einem<lb/> feinen, ſcharfen <hi rendition="#fr">Faden,</hi> und nicht in abgetrenn-<lb/> ten Haaren oder Haarkluͤmpgen <hi rendition="#fr">gebildet.</hi> Win-<lb/> kelmann haͤlt dieſe Andeutung fuͤr Augenbranen<lb/> der Gratien und ich halte ſie auch dafuͤr — in<lb/> der Kunſt nehmlich. Jn der Natur iſt der<lb/> nackte, ſcharfe Faden ganz etwas anders, und<lb/> auch Griechiſche Natur war und iſts nicht, wie<lb/> <fw place="bottom" type="catch">kein</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0049]
ter ſeyn muſte, aufs Haupt gebunden und nicht
um den Kopf fliegend. Keiner Bacchante flat-
terts, denn es kann ja nicht flattern: dem ſchnell-
gehenden zornigen Apollo iſts „wie die zarten und
„fluͤßigen Schlingen edler Weinreben, gleichſam
„von einer ſanften Luft bewegt, das Haupt um-
„ſpielend„. Bey andern liegts wie eine ſchoͤne
Decke (εξομσια) hinauf, bei andern in tiefen Fur-
chen hinunter. Nie aber faͤhrts, wie einer ge-
mahlten Eva, laͤngelang hinunter, der Geſtalt
den Ruͤcken zu rauben, und ſelbſt bei einer Aphro-
dite aus Muſchel oder Bade, faͤllets, obwohl
naß und Klettenweiſe, doch wohlgeordnet und
nicht waldicht hinab: denn dem Gefuͤhl muͤſſen
die Haare nie Wald, ſondern ſanfte, nachge-
bende Maſſe werden, die ſich endlich ſelbſt ver-
liert. Der Mahlerei ſind ſie Farbe, Schatte,
Schattierung, die kann ſie ſchon freier ordnen. —
Es iſt bekannt, mit welcher Feinheit die
Griechiſchen Kuͤnſtler die Augenbranen ihrer
Statuen angedeutet haben; angedeutet, in einem
feinen, ſcharfen Faden, und nicht in abgetrenn-
ten Haaren oder Haarkluͤmpgen gebildet. Win-
kelmann haͤlt dieſe Andeutung fuͤr Augenbranen
der Gratien und ich halte ſie auch dafuͤr — in
der Kunſt nehmlich. Jn der Natur iſt der
nackte, ſcharfe Faden ganz etwas anders, und
auch Griechiſche Natur war und iſts nicht, wie
kein
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