[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.fernten. Dem Auge sind die blauen Adern un- Die alten Künstler sind in Bildung der ter
fernten. Dem Auge ſind die blauen Adern un- Die alten Kuͤnſtler ſind in Bildung der ter
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fernten. Dem Auge ſind die blauen Adern un-
ter der Haut nur ſichtbar: ſie duften Leben, da
wallet Blut; als Knorpel und Knochen ſind ſie
uns fuͤhlbar und haben kein Blut und duften kein
Leben mehr, in ihnen ſchleicht der lebendige Tod. —
Ganz anders, wie ſich die Adern der Bildſaͤule
beleben, wenn ſie unter den Haͤnden des Kuͤnſtlers
und Liebhabers weicher, lebendiger Thon wird.
Es iſt, als regten ſie ſich und wallen und leben,
aber nicht in aufgelaufenen Stricken; ein himm-
liſcher Geiſt, ſagt Winkelmann, der ſich wie
ein ſanfter Strom ergoſſen, hat den Umfang der
Geſtalt erfuͤllet. Alles alſo lebet, und der ruhige
Sinn in ſeiner dunkeln Umſchraͤnktheit kann, je
weniger er losgebunden und zertheilt fuͤhlet, ſo
mehr im großen Ganzen ahnden.
Die alten Kuͤnſtler ſind in Bildung der
Haare ſehr beruͤhmt und geprieſen; mehr aber
von Kuͤnſtlern und Literatoren geprieſen als von
Theoriſten verſtanden. Wo und wie haben ſie
Haare gebildet? wo und wie ſie ſich bilden und
auch vom Blinden als Zierde der ſchoͤnen Form
taſten ließen. Das zierende Haupthaar der
Goͤtter und Goͤttinnen (denn ein kahlkoͤpfiger
Roͤmer iſt immer ein duͤrftiges uͤberaltes Ge-
ſchoͤpf) machten ſie zum Koͤrper, ohne daß es
Steinklumpe wuͤrde: es faͤllt in ſchoͤnen ſchweren
Locken herab, oder iſt bey Weibern, wo es zar-
ter
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