noch Menschen dafür erkennen, was ihnen in ihrer Vornehmheit nur diesmal so dünkte. Löwe und Tiger, Schlange und Eidere, Nilpferd und Crocodil, sind sie deswegen häßlich, weil sie schrecklich sind, weil sie uns Grausen oder Furcht erregen? der Löwe, welch ein schönes Thier ist er, auch in der Kunst des Bildners! die Schlan- ge, wie sanft windet sie sich den Stab Aesculaps hinauf, und die Schildkröte, ist sie ein unwürdiges Fußgestell für Gott oder Göttin, da ja selbst der Panzer der Minerva Furcht und Schrecken, Schlangen und Medusen darstellt? Niemand wirds in den Sinn kommen, solche Geschöpfe für das Hauptwerk der Kunst zu halten: der Mensch thront auf ihrem Altar, ihm ist die Bild- säule heilig. Aber nun, als Beigeräth, als Ne- benwerk, als Fußschemel, welcher Thor darf da verbieten und untersagen, weil das Geschöpf Gottes ihm häßlich dünkt und er sich für der Spin- ne fürchtet? Wie manches edle Pferd hat mehr die Statue verdient, als sein Reuter! auch hat Pindar ihm oft und ja unser Herr Gott selbst ihm die prächtigste Ehrensäule gestellet e). Aller- dings hat jedes Thier, von je schönerer, unab- gebrochener Form es ist, je mehr es sich schlingt und windet, je näher es endlich Göttern und Menschen kommt, und zu ihren Füßen dienet,
auch
e) Hiob 39, 19-25.
D 2
noch Menſchen dafuͤr erkennen, was ihnen in ihrer Vornehmheit nur diesmal ſo duͤnkte. Loͤwe und Tiger, Schlange und Eidere, Nilpferd und Crocodil, ſind ſie deswegen haͤßlich, weil ſie ſchrecklich ſind, weil ſie uns Grauſen oder Furcht erregen? der Loͤwe, welch ein ſchoͤnes Thier iſt er, auch in der Kunſt des Bildners! die Schlan- ge, wie ſanft windet ſie ſich den Stab Aeſculaps hinauf, und die Schildkroͤte, iſt ſie ein unwuͤrdiges Fußgeſtell fuͤr Gott oder Goͤttin, da ja ſelbſt der Panzer der Minerva Furcht und Schrecken, Schlangen und Meduſen darſtellt? Niemand wirds in den Sinn kommen, ſolche Geſchoͤpfe fuͤr das Hauptwerk der Kunſt zu halten: der Menſch thront auf ihrem Altar, ihm iſt die Bild- ſaͤule heilig. Aber nun, als Beigeraͤth, als Ne- benwerk, als Fußſchemel, welcher Thor darf da verbieten und unterſagen, weil das Geſchoͤpf Gottes ihm haͤßlich duͤnkt und er ſich fuͤr der Spin- ne fuͤrchtet? Wie manches edle Pferd hat mehr die Statue verdient, als ſein Reuter! auch hat Pindar ihm oft und ja unſer Herr Gott ſelbſt ihm die praͤchtigſte Ehrenſaͤule geſtellet e). Aller- dings hat jedes Thier, von je ſchoͤnerer, unab- gebrochener Form es iſt, je mehr es ſich ſchlingt und windet, je naͤher es endlich Goͤttern und Menſchen kommt, und zu ihren Fuͤßen dienet,
auch
e) Hiob 39, 19-25.
D 2
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noch Menſchen dafuͤr erkennen, was ihnen in
ihrer Vornehmheit nur diesmal ſo duͤnkte. Loͤwe
und Tiger, Schlange und Eidere, Nilpferd und
Crocodil, ſind ſie deswegen haͤßlich, weil ſie
ſchrecklich ſind, weil ſie uns Grauſen oder Furcht
erregen? der Loͤwe, welch ein ſchoͤnes Thier iſt
er, auch in der Kunſt des Bildners! die Schlan-
ge, wie ſanft windet ſie ſich den Stab Aeſculaps
hinauf, und die Schildkroͤte, iſt ſie ein unwuͤrdiges
Fußgeſtell fuͤr Gott oder Goͤttin, da ja ſelbſt der
Panzer der Minerva Furcht und Schrecken,
Schlangen und Meduſen darſtellt? Niemand
wirds in den Sinn kommen, ſolche Geſchoͤpfe
fuͤr das Hauptwerk der Kunſt zu halten: der
Menſch thront auf ihrem Altar, ihm iſt die Bild-
ſaͤule heilig. Aber nun, als Beigeraͤth, als Ne-
benwerk, als Fußſchemel, welcher Thor darf da
verbieten und unterſagen, weil das Geſchoͤpf
Gottes ihm haͤßlich duͤnkt und er ſich fuͤr der Spin-
ne fuͤrchtet? Wie manches edle Pferd hat mehr
die Statue verdient, als ſein Reuter! auch hat
Pindar ihm oft und ja unſer Herr Gott ſelbſt ihm
die praͤchtigſte Ehrenſaͤule geſtellet e). Aller-
dings hat jedes Thier, von je ſchoͤnerer, unab-
gebrochener Form es iſt, je mehr es ſich ſchlingt
und windet, je naͤher es endlich Goͤttern und
Menſchen kommt, und zu ihren Fuͤßen dienet,
auch
e) Hiob 39, 19-25.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/54>, abgerufen am 16.02.2025.
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