regelmäßige Bildung Natur ist: so gab Gott Einem Volk dieses Erdstrichs Raum und Zeit und Muße, in ihrer Jugend und Lebensfreude das Werk, das aus seiner Hand kam, ganz und rein und schön sich zu ertasten und in daurenden Denkmahlen für alle Zeiten und Völker zu bilden. Diese Denkmahle sind die klassischen Werke ihrer fühlenden Hand, wie ihre Schriften des fein- fühlenden menschlichen Geistes: im stürmigen Meer der Zeiten stehn sie als Leuchtthürme da und der Schiffer, der nach ihnen steuret, wird nie verschlagen. Es ist traurig und ewig uner- setzlich, aber vielleicht gut, daß die Barbaren viel von ihnen zerstöret haben. Die Menge könnte uns irre machen und unterdrücken, so wie in der Stadt, die noch jetzt die meisten besitzt, es vielleicht den wenigsten Geist giebt, der, ihrer werth, sie umfange und verneue. Auch sollen sie nur Freunde seyn und nicht Gebieter: nicht unterjochen, sondern, was auch ihr Name sagt, Vorbild seyn, uns die Wahrheit alter Zeiten leibhaft darstellen und uns in Uebereinstimmung und Abweichung auf die Lebensgestalten der Un- sern weisen.
Zu bewundern ist daher auch die große Ein- fachheit, mit der sie dastehn und selbst dem dun- kelsten Sinne zeugen. Nichts ist ungewiß für ihn gelassen, nichts verworren oder verstümmelt.
Keine
regelmaͤßige Bildung Natur iſt: ſo gab Gott Einem Volk dieſes Erdſtrichs Raum und Zeit und Muße, in ihrer Jugend und Lebensfreude das Werk, das aus ſeiner Hand kam, ganz und rein und ſchoͤn ſich zu ertaſten und in daurenden Denkmahlen fuͤr alle Zeiten und Voͤlker zu bilden. Dieſe Denkmahle ſind die klaſſiſchen Werke ihrer fuͤhlenden Hand, wie ihre Schriften des fein- fuͤhlenden menſchlichen Geiſtes: im ſtuͤrmigen Meer der Zeiten ſtehn ſie als Leuchtthuͤrme da und der Schiffer, der nach ihnen ſteuret, wird nie verſchlagen. Es iſt traurig und ewig uner- ſetzlich, aber vielleicht gut, daß die Barbaren viel von ihnen zerſtoͤret haben. Die Menge koͤnnte uns irre machen und unterdruͤcken, ſo wie in der Stadt, die noch jetzt die meiſten beſitzt, es vielleicht den wenigſten Geiſt giebt, der, ihrer werth, ſie umfange und verneue. Auch ſollen ſie nur Freunde ſeyn und nicht Gebieter: nicht unterjochen, ſondern, was auch ihr Name ſagt, Vorbild ſeyn, uns die Wahrheit alter Zeiten leibhaft darſtellen und uns in Uebereinſtimmung und Abweichung auf die Lebensgeſtalten der Un- ſern weiſen.
Zu bewundern iſt daher auch die große Ein- fachheit, mit der ſie daſtehn und ſelbſt dem dun- kelſten Sinne zeugen. Nichts iſt ungewiß fuͤr ihn gelaſſen, nichts verworren oder verſtuͤmmelt.
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[58/0061]
regelmaͤßige Bildung Natur iſt: ſo gab Gott
Einem Volk dieſes Erdſtrichs Raum und Zeit
und Muße, in ihrer Jugend und Lebensfreude
das Werk, das aus ſeiner Hand kam, ganz und
rein und ſchoͤn ſich zu ertaſten und in daurenden
Denkmahlen fuͤr alle Zeiten und Voͤlker zu bilden.
Dieſe Denkmahle ſind die klaſſiſchen Werke ihrer
fuͤhlenden Hand, wie ihre Schriften des fein-
fuͤhlenden menſchlichen Geiſtes: im ſtuͤrmigen
Meer der Zeiten ſtehn ſie als Leuchtthuͤrme da
und der Schiffer, der nach ihnen ſteuret, wird
nie verſchlagen. Es iſt traurig und ewig uner-
ſetzlich, aber vielleicht gut, daß die Barbaren
viel von ihnen zerſtoͤret haben. Die Menge
koͤnnte uns irre machen und unterdruͤcken, ſo wie
in der Stadt, die noch jetzt die meiſten beſitzt,
es vielleicht den wenigſten Geiſt giebt, der, ihrer
werth, ſie umfange und verneue. Auch ſollen
ſie nur Freunde ſeyn und nicht Gebieter: nicht
unterjochen, ſondern, was auch ihr Name ſagt,
Vorbild ſeyn, uns die Wahrheit alter Zeiten
leibhaft darſtellen und uns in Uebereinſtimmung
und Abweichung auf die Lebensgeſtalten der Un-
ſern weiſen.
Zu bewundern iſt daher auch die große Ein-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/61>, abgerufen am 16.02.2025.
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