Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter der Stirn steht ihre schöne Grenze, die
Augenbrane: ein Regenbogen des Friedes,
wenn sie sanft ist, und der aufgespannte Bogen
der Zwietracht, wenn sie dem Himmel über sich
Zorn und Wolken sendet. Jn beidem Falle al-
so Verkündigerin der Gesinnung und Bote
des Himmels zur Erde. Was vom Haar all-
gemein gesagt wurde, gilt von diesem Faden der
Haare, sie mögen Furie oder Grazie seyn, aus-
zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem
friedlichen sanften Härchen; oder Flammen stei-
gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb-
kugeln, die Jgelborsten, die Wirbel, die Grecq-
Figuren für Eindruck machen, kann wohl keine
Feder schreiben. Und wie schwimmt Gegen-
theils Auge und Hand so sanft die linde friedliche
Augenbrane hinunter! sie gleitet hinab, wie
der Kahn des Lebens in schöner Morgen- oder
Abendröthe. Jch weiß nicht, was für ein
Wink dem Verständigen angenehmer, anziehen-
der seyn könne, als hier ein scharfer, vester und
doch sanfter Winkel zwischen Stirn und Auge.
Er gibt dem Profil einen unaussprechlich interes-
santen Zug und ist der Hügel, auf dem sich Ge-
nien und Grazien sonnen, um sich in die Quel-
le des Schattenumkränzten lieblichen Auges zu
tauchen.

Das

Unter der Stirn ſteht ihre ſchoͤne Grenze, die
Augenbrane: ein Regenbogen des Friedes,
wenn ſie ſanft iſt, und der aufgeſpannte Bogen
der Zwietracht, wenn ſie dem Himmel uͤber ſich
Zorn und Wolken ſendet. Jn beidem Falle al-
ſo Verkuͤndigerin der Geſinnung und Bote
des Himmels zur Erde. Was vom Haar all-
gemein geſagt wurde, gilt von dieſem Faden der
Haare, ſie moͤgen Furie oder Grazie ſeyn, aus-
zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem
friedlichen ſanften Haͤrchen; oder Flammen ſtei-
gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb-
kugeln, die Jgelborſten, die Wirbel, die Grecq-
Figuren fuͤr Eindruck machen, kann wohl keine
Feder ſchreiben. Und wie ſchwimmt Gegen-
theils Auge und Hand ſo ſanft die linde friedliche
Augenbrane hinunter! ſie gleitet hinab, wie
der Kahn des Lebens in ſchoͤner Morgen- oder
Abendroͤthe. Jch weiß nicht, was fuͤr ein
Wink dem Verſtaͤndigen angenehmer, anziehen-
der ſeyn koͤnne, als hier ein ſcharfer, veſter und
doch ſanfter Winkel zwiſchen Stirn und Auge.
Er gibt dem Profil einen unausſprechlich intereſ-
ſanten Zug und iſt der Huͤgel, auf dem ſich Ge-
nien und Grazien ſonnen, um ſich in die Quel-
le des Schattenumkraͤnzten lieblichen Auges zu
tauchen.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0080" n="77"/>
        <p>Unter der Stirn &#x017F;teht ihre &#x017F;cho&#x0364;ne Grenze, die<lb/><hi rendition="#fr">Augenbrane</hi>: ein Regenbogen des Friedes,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;anft i&#x017F;t, und der aufge&#x017F;pannte Bogen<lb/>
der Zwietracht, wenn &#x017F;ie dem Himmel u&#x0364;ber &#x017F;ich<lb/>
Zorn und Wolken &#x017F;endet. Jn beidem Falle al-<lb/>
&#x017F;o <hi rendition="#fr">Verku&#x0364;ndigerin</hi> der <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;innung</hi> und Bote<lb/>
des Himmels zur Erde. Was vom Haar all-<lb/>
gemein ge&#x017F;agt wurde, gilt von die&#x017F;em Faden der<lb/>
Haare, &#x017F;ie mo&#x0364;gen Furie oder Grazie &#x017F;eyn, aus-<lb/>
zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem<lb/>
friedlichen &#x017F;anften Ha&#x0364;rchen; oder Flammen &#x017F;tei-<lb/>
gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb-<lb/>
kugeln, die Jgelbor&#x017F;ten, die Wirbel, die Grecq-<lb/>
Figuren fu&#x0364;r Eindruck machen, kann wohl keine<lb/>
Feder &#x017F;chreiben. Und wie &#x017F;chwimmt Gegen-<lb/>
theils Auge und Hand &#x017F;o &#x017F;anft die linde friedliche<lb/>
Augenbrane hinunter! &#x017F;ie gleitet hinab, wie<lb/>
der Kahn des Lebens in &#x017F;cho&#x0364;ner Morgen- oder<lb/>
Abendro&#x0364;the. Jch weiß nicht, was fu&#x0364;r ein<lb/>
Wink dem Ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen angenehmer, anziehen-<lb/>
der &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, als hier ein <hi rendition="#fr">&#x017F;charfer, ve&#x017F;ter</hi> und<lb/>
doch <hi rendition="#fr">&#x017F;anfter Winkel</hi> zwi&#x017F;chen Stirn und Auge.<lb/>
Er gibt dem Profil einen unaus&#x017F;prechlich intere&#x017F;-<lb/>
&#x017F;anten Zug und i&#x017F;t der Hu&#x0364;gel, auf dem &#x017F;ich Ge-<lb/>
nien und Grazien &#x017F;onnen, um &#x017F;ich in die Quel-<lb/>
le des Schattenumkra&#x0364;nzten lieblichen Auges zu<lb/>
tauchen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0080] Unter der Stirn ſteht ihre ſchoͤne Grenze, die Augenbrane: ein Regenbogen des Friedes, wenn ſie ſanft iſt, und der aufgeſpannte Bogen der Zwietracht, wenn ſie dem Himmel uͤber ſich Zorn und Wolken ſendet. Jn beidem Falle al- ſo Verkuͤndigerin der Geſinnung und Bote des Himmels zur Erde. Was vom Haar all- gemein geſagt wurde, gilt von dieſem Faden der Haare, ſie moͤgen Furie oder Grazie ſeyn, aus- zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem friedlichen ſanften Haͤrchen; oder Flammen ſtei- gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb- kugeln, die Jgelborſten, die Wirbel, die Grecq- Figuren fuͤr Eindruck machen, kann wohl keine Feder ſchreiben. Und wie ſchwimmt Gegen- theils Auge und Hand ſo ſanft die linde friedliche Augenbrane hinunter! ſie gleitet hinab, wie der Kahn des Lebens in ſchoͤner Morgen- oder Abendroͤthe. Jch weiß nicht, was fuͤr ein Wink dem Verſtaͤndigen angenehmer, anziehen- der ſeyn koͤnne, als hier ein ſcharfer, veſter und doch ſanfter Winkel zwiſchen Stirn und Auge. Er gibt dem Profil einen unausſprechlich intereſ- ſanten Zug und iſt der Huͤgel, auf dem ſich Ge- nien und Grazien ſonnen, um ſich in die Quel- le des Schattenumkraͤnzten lieblichen Auges zu tauchen. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/80
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/80>, abgerufen am 18.05.2024.