[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.Die Augen betrachte ich hier nur tastbar als Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des nicht
Die Augen betrachte ich hier nur taſtbar als Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des nicht
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0083" n="80"/> <p>Die <hi rendition="#fr">Augen</hi> betrachte ich hier nur taſtbar als<lb/> Glaͤſer der Seele und Brunnen des Lichts und<lb/> Lebens. Sie liegen zwiſchen Buͤſchen eingefaßt<lb/> und geſchloſſen: und eben das blinde Gefuͤhl ent-<lb/> deckts ſchon, daß ihre ſchoͤngeſchliffene Form<lb/> nebſt Schnitt und Groͤße nicht gleichguͤltig ſei.<lb/> Eben ſo merkwuͤrdig iſts, wie ſich unten der Aug-<lb/> knoche ſtarr baͤume oder ſanft verliere? und ob<lb/> die Schlaͤfen eingefallene Grabhoͤlen oder zarte<lb/> Ruheſtaͤten ſind, auf denen der Finger des<lb/> Bluts und Lebens ſchlage? Ueberhaupt iſt die<lb/> Gegend, wie Augenbrane, Naſe und Auge ſich<lb/> verhaͤlt, die Gegend des <hi rendition="#fr">Winks</hi> der Seele in<lb/> unſerm Geſicht, d. i. des <hi rendition="#fr">Willens</hi> und <hi rendition="#fr">prakti-<lb/> ſchen Lebens</hi>.</p><lb/> <p>Den edlen, tiefen, verborgenen <hi rendition="#fr">Sinn des<lb/> Gehoͤrs</hi> hat die Natur Seitwaͤrts geſetzt und<lb/> halb verborgen; der Menſch ſollte nicht mit dem<lb/> Antlitz fuͤr andre, ſondern mit dem Ohre fuͤr ſich<lb/> hoͤren. Auch blieb dieſer Sinn, ſo wohlfoͤrmig<lb/> er da ſteht, <hi rendition="#fr">ungeziert</hi>: Zartheit, Ausarbeitung<lb/> und Tiefe iſt ſeine Zierde; weh ihm, dem große<lb/> Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab-<lb/> hangen, oder weiſe Midasbrabevmen zu beiden<lb/> Seiten gethuͤrmt ſind: der muß <hi rendition="#fr">wohl</hi> hoͤren und<lb/> urtheilen, denn ſeine Ohren ſind groß. — Ue-<lb/> brigens uͤberlaſſe ichs den Naturkundigen, ob<lb/> dieſer Sinn durchs Anpreſſen und Nichtuͤben<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [80/0083]
Die Augen betrachte ich hier nur taſtbar als
Glaͤſer der Seele und Brunnen des Lichts und
Lebens. Sie liegen zwiſchen Buͤſchen eingefaßt
und geſchloſſen: und eben das blinde Gefuͤhl ent-
deckts ſchon, daß ihre ſchoͤngeſchliffene Form
nebſt Schnitt und Groͤße nicht gleichguͤltig ſei.
Eben ſo merkwuͤrdig iſts, wie ſich unten der Aug-
knoche ſtarr baͤume oder ſanft verliere? und ob
die Schlaͤfen eingefallene Grabhoͤlen oder zarte
Ruheſtaͤten ſind, auf denen der Finger des
Bluts und Lebens ſchlage? Ueberhaupt iſt die
Gegend, wie Augenbrane, Naſe und Auge ſich
verhaͤlt, die Gegend des Winks der Seele in
unſerm Geſicht, d. i. des Willens und prakti-
ſchen Lebens.
Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des
Gehoͤrs hat die Natur Seitwaͤrts geſetzt und
halb verborgen; der Menſch ſollte nicht mit dem
Antlitz fuͤr andre, ſondern mit dem Ohre fuͤr ſich
hoͤren. Auch blieb dieſer Sinn, ſo wohlfoͤrmig
er da ſteht, ungeziert: Zartheit, Ausarbeitung
und Tiefe iſt ſeine Zierde; weh ihm, dem große
Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab-
hangen, oder weiſe Midasbrabevmen zu beiden
Seiten gethuͤrmt ſind: der muß wohl hoͤren und
urtheilen, denn ſeine Ohren ſind groß. — Ue-
brigens uͤberlaſſe ichs den Naturkundigen, ob
dieſer Sinn durchs Anpreſſen und Nichtuͤben
nicht
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