Letzteres darf freilich nicht in den physikalischen oder physiologischen Bedingungen der Gesichtsempfindungen gesucht werden, denn über diese sagt ja die Empfindung an sich zunächst noch gar nichts aus. Die Ähnlichkeit zweier Gesichtsempfin- dungen darin zu suchen, daß beide durch Ätherschwingungen veranlaßt, oder daß beide von der Netzhaut her erweckt werden, wäre ebenso falsch, als die Ähnlichkeit zweier Neger darin fin- den zu wollen, daß beide in Afrika erzeugt sind. Das tertium comparationis ist vielmehr in den gegebenen Empfindungen selbst zu suchen.
Denken wir uns die ganze Reihe der Übergänge vom tiefsten Schwarz bis zum lichtesten Weiß, so sind dies offenbar lauter in sich nahe verwandte Empfindungen, und wir sind auch gar nicht in Zweifel, worauf diese ihre Verwandtschaft vorzugsweise beruht. Wir sagen, alle Empfindungen dieser Reihe sind heller als das Schwarz am einen, dunkler als das Weiß am andern Ende der Reihe. In zweifacher Hinsicht also haben alle diese Empfindungen etwas Gemeinsames; erstens haben sie alle, ver- glichen mit dem reinen Weiß, etwas Dunkles, Schattiges oder Schwärzliches, andererseits haben sie, verglichen mit dem reinen Schwarz, alle etwas Helles oder Weißliches; mit andern Wor- ten, jede dieser Übergangsempfindungen erinnert uns zugleich an Weiß und Schwarz, nur überwiegt hier mehr das eine, dort mehr das andere, oder das eine findet sich nur spurweise, das andere deutlich u. s. f.
Betrachten wir das Grau, welches in der Mitte der ganzen Reihe liegt und also von Schwarz und Weiß gleichweit entfernt ist, so können wir nicht sagen, daß wir in demselben eigent- liches Weiß oder eigentliches Schwarz sehen, sondern wir haben eine sowohl vom Weiß als vom Schwarz verschiedene Empfin- dung, eine Empfindung besonderer Qualität, sehen aber doch in diesem Grau gewissermaßen Helligkeit und Dunkelheit, Weiß und Schwarz zugleich, beide gleichsam abgeschwächt. Nur das reine Weiß und Schwarz scheinen mit einander fast keine Ähn- lichkeit zu haben, sondern wir fassen sie vielmehr als Gegen- sätze auf. Worauf dies beruht, ist hier nicht weiter zu unter- suchen; vielmehr will ich gerade darauf Gewicht legen, daß
Letzteres darf freilich nicht in den physikalischen oder physiologischen Bedingungen der Gesichtsempfindungen gesucht werden, denn über diese sagt ja die Empfindung an sich zunächst noch gar nichts aus. Die Ähnlichkeit zweier Gesichtsempfin- dungen darin zu suchen, daß beide durch Ätherschwingungen veranlaßt, oder daß beide von der Netzhaut her erweckt werden, wäre ebenso falsch, als die Ähnlichkeit zweier Neger darin fin- den zu wollen, daß beide in Afrika erzeugt sind. Das tertium comparationis ist vielmehr in den gegebenen Empfindungen selbst zu suchen.
Denken wir uns die ganze Reihe der Übergänge vom tiefsten Schwarz bis zum lichtesten Weiß, so sind dies offenbar lauter in sich nahe verwandte Empfindungen, und wir sind auch gar nicht in Zweifel, worauf diese ihre Verwandtschaft vorzugsweise beruht. Wir sagen, alle Empfindungen dieser Reihe sind heller als das Schwarz am einen, dunkler als das Weiß am andern Ende der Reihe. In zweifacher Hinsicht also haben alle diese Empfindungen etwas Gemeinsames; erstens haben sie alle, ver- glichen mit dem reinen Weiß, etwas Dunkles, Schattiges oder Schwärzliches, andererseits haben sie, verglichen mit dem reinen Schwarz, alle etwas Helles oder Weißliches; mit andern Wor- ten, jede dieser Übergangsempfindungen erinnert uns zugleich an Weiß und Schwarz, nur überwiegt hier mehr das eine, dort mehr das andere, oder das eine findet sich nur spurweise, das andere deutlich u. s. f.
Betrachten wir das Grau, welches in der Mitte der ganzen Reihe liegt und also von Schwarz und Weiß gleichweit entfernt ist, so können wir nicht sagen, daß wir in demselben eigent- liches Weiß oder eigentliches Schwarz sehen, sondern wir haben eine sowohl vom Weiß als vom Schwarz verschiedene Empfin- dung, eine Empfindung besonderer Qualität, sehen aber doch in diesem Grau gewissermaßen Helligkeit und Dunkelheit, Weiß und Schwarz zugleich, beide gleichsam abgeschwächt. Nur das reine Weiß und Schwarz scheinen mit einander fast keine Ähn- lichkeit zu haben, sondern wir fassen sie vielmehr als Gegen- sätze auf. Worauf dies beruht, ist hier nicht weiter zu unter- suchen; vielmehr will ich gerade darauf Gewicht legen, daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0060"n="52"/><p>Letzteres darf freilich nicht in den physikalischen oder<lb/>
physiologischen Bedingungen der Gesichtsempfindungen gesucht<lb/>
werden, denn über diese sagt ja die Empfindung an sich zunächst<lb/>
noch gar nichts aus. Die Ähnlichkeit zweier Gesichtsempfin-<lb/>
dungen darin zu suchen, daß beide durch Ätherschwingungen<lb/>
veranlaßt, oder daß beide von der Netzhaut her erweckt werden,<lb/>
wäre ebenso falsch, als die Ähnlichkeit zweier Neger darin fin-<lb/>
den zu wollen, daß beide in Afrika erzeugt sind. Das tertium<lb/>
comparationis ist vielmehr in den gegebenen Empfindungen<lb/>
selbst zu suchen.</p><lb/><p>Denken wir uns die ganze Reihe der Übergänge vom tiefsten<lb/>
Schwarz bis zum lichtesten Weiß, so sind dies offenbar lauter<lb/>
in sich nahe verwandte Empfindungen, und wir sind auch gar<lb/>
nicht in Zweifel, worauf diese ihre Verwandtschaft vorzugsweise<lb/>
beruht. Wir sagen, alle Empfindungen dieser Reihe sind <hirendition="#g">heller</hi><lb/>
als das Schwarz am einen, <hirendition="#g">dunkler</hi> als das Weiß am andern<lb/>
Ende der Reihe. In zweifacher Hinsicht also haben alle diese<lb/>
Empfindungen etwas Gemeinsames; erstens haben sie alle, ver-<lb/>
glichen mit dem reinen Weiß, etwas Dunkles, Schattiges oder<lb/>
Schwärzliches, andererseits haben sie, verglichen mit dem reinen<lb/>
Schwarz, alle etwas Helles oder Weißliches; mit andern Wor-<lb/>
ten, jede dieser Übergangsempfindungen erinnert uns zugleich<lb/>
an Weiß und Schwarz, nur überwiegt hier mehr das eine, dort<lb/>
mehr das andere, oder das eine findet sich nur spurweise, das<lb/>
andere deutlich u. s. f.</p><lb/><p>Betrachten wir das Grau, welches in der Mitte der ganzen<lb/>
Reihe liegt und also von Schwarz und Weiß gleichweit entfernt<lb/>
ist, so können wir nicht sagen, daß wir in demselben eigent-<lb/>
liches Weiß oder eigentliches Schwarz sehen, sondern wir haben<lb/>
eine sowohl vom Weiß als vom Schwarz verschiedene Empfin-<lb/>
dung, eine Empfindung besonderer <hirendition="#g">Qualität,</hi> sehen aber doch<lb/>
in diesem Grau gewissermaßen Helligkeit und Dunkelheit, Weiß<lb/>
und Schwarz zugleich, beide gleichsam abgeschwächt. Nur das<lb/>
reine Weiß und Schwarz scheinen mit einander fast keine Ähn-<lb/>
lichkeit zu haben, sondern wir fassen sie vielmehr als Gegen-<lb/>
sätze auf. Worauf dies beruht, ist hier nicht weiter zu unter-<lb/>
suchen; vielmehr will ich gerade darauf Gewicht legen, daß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[52/0060]
Letzteres darf freilich nicht in den physikalischen oder
physiologischen Bedingungen der Gesichtsempfindungen gesucht
werden, denn über diese sagt ja die Empfindung an sich zunächst
noch gar nichts aus. Die Ähnlichkeit zweier Gesichtsempfin-
dungen darin zu suchen, daß beide durch Ätherschwingungen
veranlaßt, oder daß beide von der Netzhaut her erweckt werden,
wäre ebenso falsch, als die Ähnlichkeit zweier Neger darin fin-
den zu wollen, daß beide in Afrika erzeugt sind. Das tertium
comparationis ist vielmehr in den gegebenen Empfindungen
selbst zu suchen.
Denken wir uns die ganze Reihe der Übergänge vom tiefsten
Schwarz bis zum lichtesten Weiß, so sind dies offenbar lauter
in sich nahe verwandte Empfindungen, und wir sind auch gar
nicht in Zweifel, worauf diese ihre Verwandtschaft vorzugsweise
beruht. Wir sagen, alle Empfindungen dieser Reihe sind heller
als das Schwarz am einen, dunkler als das Weiß am andern
Ende der Reihe. In zweifacher Hinsicht also haben alle diese
Empfindungen etwas Gemeinsames; erstens haben sie alle, ver-
glichen mit dem reinen Weiß, etwas Dunkles, Schattiges oder
Schwärzliches, andererseits haben sie, verglichen mit dem reinen
Schwarz, alle etwas Helles oder Weißliches; mit andern Wor-
ten, jede dieser Übergangsempfindungen erinnert uns zugleich
an Weiß und Schwarz, nur überwiegt hier mehr das eine, dort
mehr das andere, oder das eine findet sich nur spurweise, das
andere deutlich u. s. f.
Betrachten wir das Grau, welches in der Mitte der ganzen
Reihe liegt und also von Schwarz und Weiß gleichweit entfernt
ist, so können wir nicht sagen, daß wir in demselben eigent-
liches Weiß oder eigentliches Schwarz sehen, sondern wir haben
eine sowohl vom Weiß als vom Schwarz verschiedene Empfin-
dung, eine Empfindung besonderer Qualität, sehen aber doch
in diesem Grau gewissermaßen Helligkeit und Dunkelheit, Weiß
und Schwarz zugleich, beide gleichsam abgeschwächt. Nur das
reine Weiß und Schwarz scheinen mit einander fast keine Ähn-
lichkeit zu haben, sondern wir fassen sie vielmehr als Gegen-
sätze auf. Worauf dies beruht, ist hier nicht weiter zu unter-
suchen; vielmehr will ich gerade darauf Gewicht legen, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Aus pragmatischen Gründen wurde für das DTA die z… [mehr]
Aus pragmatischen Gründen wurde für das DTA die zweite, unveränderte Auflage von 1878 zugrunde gelegt. Diese enthält Herings insgesamt sechs zwischen 1872 und 1876 erschienenen "Mittheilungen" "Zur Lehre vom Lichtsinne" aus den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften in Wien, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse.
Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/60>, abgerufen am 20.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.